Madame Bovary
weinen, und Rudolf vermochte sie nur mit viel
Mühe zu beruhigen, indem er seine Worte durch allerlei Scherze zu
mildern suchte.
»Ach, du weißt gar nicht, wie ich dich liebe!« begann sie von
neuem. »Ich liebe dich so sehr, daß ich nicht von dir lassen kann!
Verstehst du das? Manchmal habe ich solche Sehnsucht, dich zu
sehen, und dann springt mir beinahe das Herz vor lauter Liebe! Ich
frage mich: wo ist er? Vielleicht spricht er mit andern Frauen? Sie
lächeln ihm zu. Er macht ihnen den Hof…. Ach nein; nicht wahr, es
gefällt dir keine? Es gibt ja schönere als ich, aber keine kann
dich so lieben wie ich! Ich bin deine Magd, deine Liebste! Und du
bist mein Herr, mein Gott! Du bist so gut! So schön! So klug und
stark!«
Dergleichen hatte er in seinem Leben schon so oft gehört, daß es
ihm ganz und gar nichts Neues mehr war. Emma war darin nicht anders
als alle seine früheren Geliebten, und der Reiz der Neuheit fiel
Stück um Stück von ihr ab wie ein Gewand, und das ewige Einerlei
der sinnlichen Leidenschaft trat nackt zutage, die immer dieselbe
Gestalt, immer dieselbe Sprache hat. Er war ein vielerfahrener
Mann, aber er ahnte nicht, daß unter den nämlichen Ausdrucksformen
himmelweit voneinander verschiedene Gefühlsarten existieren können.
Weil ihm die Lippen liederlicher oder käuflicher Frauenzimmer schon
die gleichen Phrasen zugeflüstert hatten, war sein Glaube an die
Aufrichtigkeit einer Frau wie dieser nur schwach.
»Man darf die überschwenglichen Worte nicht gelten lassen,«
sagte er sich, »sie sind nur ein Mäntelchen
für Alltagsempfindungen.«
Aber ist es nicht oft so, daß ein übervolles Herz mit den
banalsten Worten nach Ausdruck sucht? Und vermag denn jemand genau
zu sagen, wie groß sein Wünschen und Wollen, seine Innenwelt, seine
Schmerzen sind? Des Menschen Wort ist wie eine gesprungene Pauke,
auf der wir eine Melodie heraustrommeln, nach der kaum ein Bär
tanzt, während wir die Sterne bewegen möchten.
Aber mit der Überlegenheit, die kritischen Naturen eigentümlich
ist, die immer Herren ihrer selbst bleiben, entlockte Rudolf auch
dieser Liebschaft neue Genüsse. Er nahm keine ihm unbequeme
Rücksicht auf Emmas Schamhaftigkeit mehr. Er behandelte sie bar
jedes Zwanges. Er machte sie zu allem fügsam und verdarb sie
gründlich. Sie hegte eine geradezu hündische Anhänglichkeit zu ihm.
An ihm bewunderte sie alles. Wollüstig empfand sie
Glückseligkeiten, die sie von Sinnen machten. Ihre Seele ertrank in
diesem Rausche.
Der Wandel in erotischen Dingen bei ihr begann sich in ihrem
äußerlichen Wesen zu verraten. Ihre Blicke wurden kühner, ihre Rede
freimütiger. Sie hatte sogar den Mut, in Begleitung Rudolfs, eine
Zigarette im Munde, spazieren zu gehen, »um die Spießer zu ärgern«,
wie sie sagte. Und um ihren guten Ruf war es gänzlich geschehen,
als man sie eines schönen Tages in einem regelrechten Herrenjackett
der Rouener Postkutsche entsteigen sah. Die alte Frau Bovary, die
nach einem heftigen Zank mit ihrem Manne wieder einmal bei ihrem
Sohne Zuflucht gesucht hatte, entsetzte sich nicht weniger als die
Yonviller Philister. Und noch vieles andre mißfiel ihr. Zunächst
hatte Karl ihrem Rate entgegen das Roman-Lesen doch wieder
zugelassen. Und dann war überhaupt die »ganze Wirtschaft« nicht
nach ihrem Sinne. Als sie sich Bemerkungen
darüber gestattete, kam es zu einem ärgerlichen Auftritt. Felicie
war die nähere Veranlassung dazu.
Die alte Frau Bovary hatte das Mädchen eines Abends, als sie
durch den Flur ging, in der Gesellschaft eines nicht mehr besonders
jungen Mannes überrascht. Der Betreffende trug ein braunes Halstuch
und verschwand bei der Annäherung der alten Dame. Emma lachte, als
ihr der Vorfall berichtet ward, aber die Schwiegermutter ereiferte
sich und erklärte, wer bei seinen Dienstboten nicht auf Anstand
hielte, lege selber wenig Wert darauf.
»Sie sind wohl aus Hinterpommern?« fragte die junge Frau so
impertinent, daß sich die alte Frau die Frage nicht verkneifen
konnte, ob sie sich damit selber verteidigen wolle.
»Verlassen Sie mein Haus!« schrie Emma und sprang auf.
»Emma! Mutter!« rief Karl beschwichtigend.
In ihrer Erregung waren beide Frauen aus dem Zimmer gestürzt.
Emma stampfte mit dem Fuße auf, als er ihr zuredete.
»So eine ungebildete Person! So ein Bauernweib!« rief sie.
Er eilte zur Mutter. Sie war ganz außer sich und stammelte:
»So eine Unverschämtheit! Eine leichtsinnige Trine. Schlimmeres
vielleicht
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