Madame Bovary
Sie küßten sich, und all ihr Ärger
schmolz in der Glut der Umarmung wie der Schnee vor der Sonne.
Kapitel 12
Ihre Liebe begann von neuem. Oft schrieb ihm Emma mitten am
Tage. Sie winkte sich Justin durch das Fenster her. Der legte
schnell seine Arbeitsschürze ab und trabte nach der Hüchette.
Rudolf kam alsbald. Sie hatte ihm nichts zu sagen, als daß sie sich
langweile, daß ihr Mann gräßlich sei und ihr Dasein
schrecklich.
»Kann ich das ändern?« rief er einmal ungeduldig aus.
»Ja, wenn du wolltest!«
Sie saß auf dem Fußboden zwischen seinen Knien, mit aufgelöstem
Haar und traumverlorenem Blick.
»Wieso?« fragte er.
Sie seufzte.
»Wir müssen irgendwo anders ein neues Leben beginnen … weit weg
von hier….«
»Ein toller Einfall!« lachte er. »Unmöglich!«
Sie kam immer wieder darauf zurück. Er tat so, als sei ihm das
unverständlich, und begann von etwas anderm zu sprechen.
Was Rudolf in der Tat nicht begriff, das war ihr ganzes
aufgeregtes Wesen bei einer so einfachen Sache wie der Liebe. Sie
müsse dazu doch Anlaß haben, Motive. Sie klammere sich doch an ihn,
als ob sie bei ihm Hilfe suche.
Wirklich wuchs ihre Zärtlichkeit zu dem Geliebten von Tag zu Tag
im gleichen Maße, wie sich ihre Abneigung gegen ihren Mann
verschlimmerte. Je mehr sie sich jenem hingab, um so mehr
verabscheute sie diesen. Karl kam ihr nie so unerträglich vor,
seine Hände nie so vierschrötig, sein Geist nie so schwerfällig,
seine Manieren nie so gewöhnlich, als wenn sie nach einem
Stelldichein mit Rudolf wieder mit ihm zusammen war. Sie bildete
sich ein, sie sei Rudolfs Frau, seine treue Gattin. Immerwährend
träumte sie von seinem dunklen welligen Haar, seiner braunen Stirn,
seiner kräftigen und doch eleganten
Gestalt, von dem ganzen so klugen und in seinem Begehren doch so
leidenschaftlichen Menschen. Nur für ihn pflegte sie ihre Nägel mit
der Sorgfalt eines Ziseleurs, für ihn verschwendete sie eine
Unmenge von Coldcream für ihre Haut und von Peau d'Espagne für ihre
Wäsche. Sie überlud sich mit Armbändern, Ringen und Halsketten.
Wenn sie ihn erwartete, füllte sie ihre großen blauen Glasvasen mit
Rosen und schmückte ihr Zimmer und sich selber wie eine Kurtisane,
die einen Fürsten erwartet. Felicie wurde gar nicht mehr fertig mit
Waschen; den ganzen Tag steckte sie in ihrer Küche.
Justin leistete ihr häufig Gesellschaft und sah ihr bei ihrer
Arbeit zu. Die Ellenbogen auf das lange Bügelbrett gestützt, auf
dem sie plättete, betrachtete er lüstern alle die um ihn herum
aufgeschichtete Damenwäsche, die Pikee-Unterröcke, die
Spitzentücher, die Halskragen, die breithüftigen Unterhosen.
»Wozu hat man das alles?« fragte der Bursche, indem er mit der
Hand über einen der Reifröcke strich.
»Hast du sowas noch niegesehen?« Felicie lachte. »Deine Herrin,
Frau Homais, hat das doch auch!«
»So? Die Frau Homais!« Er sann nach. »Ist sie denn eine Dame wie
die Frau Doktor?«
Felicie liebte es gar nicht, wenn er sie so umschnüffelte. Sie
war drei Jahre älter als er, und übrigens machte ihr Theodor, der
Diener des Notars, neuerdings den Hof.
»Laß mich in Ruhe!« sagte sie und stellte den Stärketopf
beiseite. »Scher dich lieber an
deine
Arbeit!
Stoß deine Mandeln! Immer mußt du an irgendeiner Schürze hängen! Eh
du dich damit befaßt, laß dir mal erst die Stoppeln unter der Nase
wachsen, du Knirps, du nichtsnütziger!«
»Ach, seien Sie doch nicht gleich bös! Ich putze Ihnen auch die
Schuhe für die Frau Doktor!«
Alsobald machte er sich über ein Paar von Frau Bovarys Schuhen
her, die in der Küche standen. Sie waren über und über mit
eingetrocknetem Straßenschmutz bedeckt – vom letzten Stelldichein
her – , der beim Anfassen in Staub zerfiel und, wo gerade die Sonne
schien, eine leichte Wolke bildete. Justin betrachtete sie
sich.
»Hab nur keine Angst! Die gehen nicht entzwei!« sagte Felicie,
die, wenn sie die Schuhe selber reinigte, keine besondere Sorgfalt
anwandte, weil die Herrin sie ihr überließ, sobald sie nicht mehr
tadellos aussahen. Emma hatte eine Menge Schuhzeug in ihrem
Schranke, sie trieb damit eine wahre Verschwendung, aber Karl wagte
nicht den geringsten Einwand dagegen.
So gab er auch dreihundert Franken für ein hölzernes Bein aus,
das Hippolyt ihrer Ansicht nach geschenkt bekommen müsse. Die
Fläche, mit der es anlag, war mit Kork überzogen. Es hatte
Kugelgelenke und eine komplizierte Mechanik. Hose und Schuh
verdeckten es
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