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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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noch!«
    Sie wollte unverweilt abreisen, wenn sie nicht sofort um
Verzeihung gebeten würde.
    Karl ging abermals zu seiner Frau und beschwor sie auf den
Knien, doch nachzugeben. Schließlich sagte sie:
    »Meinetwegen!«
    In der Tat streckte sie ihrer Schwiegermutter die Hand hin, mit
der Würde einer Fürstin.
    »Verzeihen Sie mir, Frau Bovary!«
    Dann eilte sie in ihr Zimmer hinauf, warf
sich in ihr Bett, auf den Bauch, und weinte wie ein Kind, den Kopf
in das Kissen vergraben.
    Für den Fall, daß sich irgend etwas Besonderes ereignen sollte,
hatte sie mit Rudolf vereinbart, an die Jalousie einen weißen
Zettel zu stecken. Wenn er zufällig in Yonville wäre, solle er
daraufhin sofort durch das Gäßchen an die hintere Gartenpforte
eilen.
    Dieses Signal gab Emma. Dreiviertel Stunden saß sie wartend am
Fenster, da bemerkte sie mit einem Male den Geliebten an der Ecke
der Hallen. Beinahe hätte sie das Fenster aufgerissen und ihn
hergerufen. Aber schon war er wieder verschwunden; Verzweiflung
überkam sie.
    Bald darauf vernahm sie unten auf dem Bürgersteige Tritte. Das
war er. Zweifellos! Sie eilte die Treppe hinunter und über den Hof.
Rudolf war hinten im Garten. Sie fiel in seine Arme.
    »Sei doch ein bißchen vorsichtiger!« mahnte er.
    »Ach, wenn du wüßtest!« Und sie begann ihm den ganzen Vorfall zu
erzählen, in aller Eile und ohne rechten Zusammenhang. Dabei
übertrieb sie manches, dichtete etliches hinzu und machte eine
solche Unmenge von Bemerkungen dazwischen, daß er nicht das
mindeste von der ganzen Geschichte begriff.
    »So beruhige dich nur, mein Schatz! Mut und Geduld!«
    »Geduld? Seit vier Jahren hab ich die. Wie ich leide!« erwiderte
sie. »Eine Liebe wie die unsrige braucht das Tageslicht nicht zu
scheuen! Man martert mich! Ich halte es nicht mehr aus! Rette
mich!«
    Sie schmiegte sich eng an ihn an. Ihre Augen, voll von Tränen,
glänzten wie Lichter unter Wasser. Ihr Busen wogte ungestüm.
    Rudolf war verliebter denn je. Einen
Augenblick war er nicht der kühle Gedankenmensch, der er sonst
immer war. Und so sagte er:
    »Was soll ich tun? Was willst du?«
    »Flieh mit mir!« rief sie. »Weit weg von hier! Ach, ich bitte
dich um alles in der Welt!«
    Sie preßte sich an seinen Mund, als wolle sie ihm mit einem
Kusse das Ja einhauchen und wieder heraussaugen.
    »Aber …«
    »Kein Aber, Rudolf!«
    »… und dein Kind?«
    Sie dachte ein paar Sekunden nach. Dann sagte sie:
    »Das nehmen wir mit! Das ist ihm schon recht!«
    »Ein Teufelsweib!« dachte er bei sich, wie er ihr nachsah. Sie
mußte ins Haus. Man hatte nach ihr gerufen.
    Während der folgenden Tage war die alte Frau Bovary über das
veränderte Wesen ihrer Schwiegertochter höchst verwundert.
Wirklich, sie zeigte sich außerordentlich fügsam, ja ehrerbietig,
und das ging so weit, daß Emma sie um ihr Rezept, Gurken
einzulegen, bat.
    Verstellte sie sich, um Mann und Schwiegermutter um so sicherer
zu täuschen? Oder fand sie eine schmerzliche Wollust darin, noch
einmal die volle Bitternis alles dessen durchzukosten, was sie im
Stiche lassen wollte? Nein, das lag ihr durchaus nicht im Sinne.
Der Gegenwart entrückt, lebte sie im Vorgeschmacke des kommenden
Glückes. Davon schwärmte sie dem Geliebten immer und immer wieder
vor. An seine Schulter gelehnt, flüsterte sie:
    »Sag, wann werden wir endlich zusammen in der Postkutsche
sitzen? Kannst du dir ausdenken, wie das dann sein wird? Mir ist es
wie ein Traum! Ich glaube, in dem Augenblick, wo ich spüre, daß
sich der Wagen in Bewegung setzt, werde ich das Gefühl haben, in einem Luftschiffe aufzusteigen, zur Reise
in die Wolken hinein! Weißt du, ich zähle die Tage…. Und du?«
    Frau Bovary hatte nie so schön ausgesehen wie jetzt. Sie besaß
eine unbeschreibliche Art von Schönheit, die aus Lebensfreude,
Schwärmerei und Siegesgefühl zusammenströmt und das Symbol
seelischer und körperlicher Harmonie ist. Ihre heimlichen Lüste,
ihre Trübsal, ihre erweiterten Liebeskünste und ihre ewig jungen
Träume hatten sich stetig entwickelt, just wie Dünger, Regen, Wind
und Sonne eine Blume zur Entfaltung bringen, und nun erst erblühte
ihre volle Eigenart. Ihre Lider waren wie ganz besonders dazu
geschnitten, schmachtende Liebesblicke zu werfen; sie
verschleierten ihre Augäpfel, während ihr Atem die feinlinigen
Nasenflügel weitete und es leise um die Hügel der Mundwinkel
zuckte, die im Sonnenlichte ein leichter schwarzer Flaum
beschattete. Man war versucht zu sagen: ein Verführer

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