Madame de Maintenon
waren inzwischen alt genug, um ihre Demütigung zu spüren. Die Jungen machten sich nichts daraus, wohl aber Françoise. Die Elfjährige war ein Kind mit wachen Sinnen, und jede Verschärfung im Ton des Gouverneurs bohrte sich wie eine klei
ne Nadel in ihre empfindliche Haut. Wie Jeanne das Geld auftrieb, weiß man nicht – da war eine junge Dame namens Rossignol, die möglicherweise geholfen hat –, aber im Juli 1647, nach über drei Jahren in der Karibik, brachen sie zusammen auf nach Frankreich, mit einer Überfahrt, die wiederum zwei Monate in Anspruch nahm, diesmal aber von Stürmen geschüttelt und, was viel schlimmer war, überdeckt von einem Gefühl der Verzweiflung. »Wenn die Meereswellen sich erheben
82 , wenn sie wütend gegen den Rumpf des Schiffes schlagen, wenn sie alle an Bord zu einem furchtsamen Schweigen zwingen, so erkennen wir darin die Macht und den Zorn Gottes …«
Es wirkt zumindest aus heutiger Sicht romantisch, auch wenn es Jeanne und ihren Kindern nicht so vorgekommen sein mag, daß sie während ihrer Rückreise nach Frankreich auf hoher See beinahe in die Hände von Piraten gefallen wären. Diese Gefahr war nur allzu geläufig in einem Zeitalter der umstrittenen Territorien und der überlasteten Kriegsflotten, in dem jede Fracht ein Vermögen wert war und jede Loyalität käuflich
83 . Gerade die Insel, von der sie gekommen waren, hatte einen vormaligen Seeräuber zu ihrem ersten Kolonialgouverneur gehabt; mit seinem Rückzug aus der Piraterie hatte er nur einem halben Dutzend anderer Freibeuter das Feld geräumt. Jetzt mit ihnen konfrontiert, bewies Jeanne eine Spur jener Kampfkraft, die sie einst beseelt hatte: Sie ließ Françoise und Charles ihre besten Kleider anlegen, um dem, was ihnen widerfahren mochte, nobler entgegenzutreten, und um die Taille ihrer Tochter schlang sie einen hölzernen Rosenkranz, als ein Amulett gegen das Schicksal, das schlimmer war als der Tod und sie mit Sicherheit erwartete, falls sie die vorausgeahnte Reise in ein unbekanntes Land im Osten überleben sollte. Doch nach ihren unglücklichen Jahren in der Karibik erschien die Aussicht auf ein Leben als weiße Sklavin der elfjährigen Françoise als nicht so schlimm; das Piratenschiff fest im Blick, flüsterte sie ih
rem Bruder zu: »Falls wir in Gefangenschaft geraten
84 , müssen wir wenigstens Maman nie wieder sehen.«
Sie gerieten nicht in Gefangenschaft, sondern blieben bei Maman , und im Frühherbst 1647 legten sie – vielleicht war es ein schöner Tag, vielleicht auch schon ein bißchen kühl – in La Rochelle an.
Kapitel 4
Burleske
Paris … ist … eine
138 der stattlichsten Städte der Welt; groß an Umfang, von runder Form, sehr volkreich, aber in einem Becken gelegen, umgeben von sanften Abhängen, wodurch an manchen Stellen viel Schmutz entsteht, und es riecht, als wäre Schwefel in den Schlamm gemischt; doch ist es gepflastert mit einer Art Sandstein von annähernd einem Quadratfuß, auf dem es sich leichter gehen läßt als auf unseren Kieselsteinen in London.
So schrieb der englische Tagebuchschreiber John Evelyn, ein zurückhaltender Bewunderer der großen Stadt, die jetzt die Heimat von Françoise war. Es war der Frühherbst des Jahres 1650, und sie wurde gerade fünfzehn.
Wenn die Stadt, in die sie gekommen war, laut und schmutzig war, so war sie doch wenigstens, wenngleich nur vorübergehend, eine Stadt des Friedens. Die Fronde schien beendet, und nur wenige Wochen vor Françoises Ankunft in Paris war der zwölfjährige König mit seinem Hof zurückgekehrt, schon das vermutlich ein Anreiz für Madame de Neuillant, die Angélique verheiraten wollte, sich wieder in der Stadt niederzulassen. Der König war in Paris freundlich aufgenommen worden, doch trotz des scheinbaren Sieges der Königinmutter über die parlamentarischen Frondeure war es der opportunistische Prinz von Condé, der hinter den Kulissen die Strippen zog. »Die Gegner Mazarins
139 sollten gerade jetzt nicht frohlocken«, schrieb der Arzt Guy Patin in weiser Voraussicht an einen Freund in Lyon. »Es gibt keinen Anlaß, diesem Prinzen zu vertrauen … In diesem Winter werden wir erleben, daß jemand vom Blitz getroffen wird.«
Der Hof war wieder eingerichtet worden, nicht im Palais Royal, wie vor der Fronde, sondern in dem weitläufigen, festungsartigen Palast des Louvre. Nach hundert Jahren Bauzeit
140 noch immer im Bau, enthielt der Louvre außer all den noblen Appartements eine Fülle von Ateliers für die
Weitere Kostenlose Bücher