Madame de Maintenon
Vielzahl von Künstlern und Handwerkern, die an der inneren und äußeren Vollendung des Palastes mitwirkten, und für andere aus ihren Zünften, die sich der Gunst des Königs erfreuten. Die südliche Fassade des Louvre, die sich entlang der Seine erstreckte, ging auf die Seine-Insel Île de la cité hinaus, die Wiege des antiken Paris und jetzt der Knotenpunkt des Lebens der modernen Stadt. Am östlichen Ende war der alte Palast der Kapetinger bereits verschwunden, wenngleich sich zwei bedeutende Überreste erhalten hatten, das Gefängnis der Conciergerie und das gotische Juwel der Sainte Chapelle, ein überwältigendes Reliquiar für die Dornenkrone Jesu, die der gerissene Kaiser in Konstantinopel dem französischen König vor vierhundert Jahren zu einem Preis verkauft hatte, der das Dreifache der Kosten der Kapelle betrug. Und vom westlichen Rand der Insel blickte finster die Kathedrale von Notre-Dame herüber, eine wuchtige Bekräftigung der Macht und des Gewichts der katholischen Kirche im Herzen Frankreichs. Im Schatten von Notre-Dame bekämpften Gelehrte der Sorbonne in schwarzen Talaren die erstarkenden Kräfte der neuen empirischen Wissenschaft mit den rostenden Waffen der Alten. Und mittendrin, in den stinkenden Gassen und den krummen mittelalterlichen Straßen, die gleichermaßen als Durchgangsstraße und als Müllkippe dienten, gingen die »kleinen Leute« von Paris ihrem Alltagsgewerbe nach: Metzger und Bäcker, Schmiede und Eisenhändler, Apotheker, Schneider, Schildermaler und Schreiber, Töpfer und Drucker und Huren. Verkehrsader und Müllkippe der Stadt war auch die breite Seine, an deren Ufern der Handel blühte.
Die Mehrzahl der großen Stadttore war noch in Funk
tion, bewacht von bewaffneten, aber bestechlichen Zollbeamten; um Mitternacht wurden sie durch Hochziehen der klapprigen Zugbrücken geschlossen. Doch die mittelalterlichen Mauern, die das alte Paris mit seiner »runden Form« umgaben, wurden nach und nach niedergelegt und durchbrochen. Am Fuß der Mauern, ja sogar auf ihnen breiteten sich die Stände der Kleinhändler und die Buden der Neuankömmlinge vom Lande aus, die mit Sack und Pack und mit ihren provinziellen Akzenten und Gewohnheiten herbeiströmten. Das städtische Leben drängte nach außen, das Landleben drängte herein, und die alten Mauern, die jahrhundertelang die Grenze der Stadt gebildet hatten, bemühten sich vergeblich, einzudämmen, was nicht zu dämmen war. Paris platzte aus allen Nähten.
Die gebürtigen Pariser blickten hochmütig auf die Neuankömmlinge vom Lande herab, obwohl ihre Stadt noch keine Oase der Urbanität war; alle ihre Bewohner, ob reich oder arm, waren mehr oder weniger gleichermaßen dem Schmutz, der Gewalt und der Gefahr plötzlicher Erkrankungen ausgeliefert. Der berüchtigte Gestank der Stadt konkurrierte mit allerlei tierischem und menschlichem Abfall, der die Schuhe und Strümpfe der Unvorsichtigen beschmutzte. Der Inhalt der Nachttöpfe ganzer Familien wurde gewohnheitsmäßig in die unbeleuchteten Straßen entleert, die bereits vom Abfall von Tausenden von heimgewerblichen Unternehmen übersät waren. Das nicht gerade saubere Wasser wurde bereits rationiert; gewöhnliche Leute erhielten etwa einen Liter pro Tag, mit unausweichlichen Folgen für die persönliche Gesundheit und Hygiene. Die Stadt war voller Tiere: Pferde und Maultiere für den Transport, Kühe und Schweine und allerlei Geflügel für Nahrung und Federn und Häute; und noch immer weideten Schafherden auf den Champs-Élysées und sorgten dafür, daß diese grasigen Felder »höchst unangenehm für Fußgänger
141 waren, besonders wenn es ein wenig geregnet hatte«.
Die Pariser manière war kaum raffinierter. Die Unruhen der Fronde hatten der ohnehin schon nachlässigen Überwachung der öffentlichen Ordnung schwer zugesetzt, und Banden junger Männer, viele von ihnen noch im Militärdienst, machten die Straßen unsicher, belästigten die jungen Frauen und bedrohten jedermann. Herren führten, wenn sie zu privaten Besuchen gingen, ein zusätzliches Paar Schuhe bei sich, aber viele benötigten außerdem ein Handbuch des guten Betragens, um sie daran zu erinnern, »drinnen nicht zu spucken
142 «; daheim schlugen sie straflos ihre Kinder und Diener und auch ihre Frauen. Die gebürtigen Pariser mochten vielleicht ein wenig besser informiert und nicht so stark an die Rituale von Land und Jahreszeit gebunden sein, aber in Gewohnheiten und Naturell unterschieden sie sich nicht
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