Madame de Maintenon
ihre ausweichenden Antworten auf Ludwigs sexuelle Erwartungen – angeblich sagte sie aus Frömmigkeit nein – verraten, daß sie kein reines Gewissen hatte.
Sie hätte es vielleicht besser wissen müssen. Doch selbst eine hohe Intelligenz und reiche Lebenserfahrung hatten bisher nicht für eine wahre Selbsterkenntnis gereicht. Ihr nobles Projekt wies eine nicht zu behebende Schwachstelle auf: Françoises Verhältnis zum König. Sie war sich dessen bewußt, und es erfüllte sie mit Unbehagen, aber ihr fehlte die moralische Stärke oder wohl eher der religiöse Glaube, um die notwendigen Schritte zu einer Änderung zu tun.
* *
Von einer Frömmlerin im Sinne des Hardliners Bossuet weit entfernt, war Françoise nur eine gläubige Christin in einer Zeit, in der praktisch alle gläubige Christen waren. Sie war durch ihre gemischte Erziehung und aufgrund der Neigung, das Pragmatische dem Mystischen vorzuziehen, eine Katholikin auf dem Papier geworden, mit einer ausgesprochenen Tendenz zum Protestantismus, aber ohne Interesse an den damaligen religiösen Auseinandersetzungen, in denen das katholische Frankreich zum einen dem sich einmischenden Papst, zum anderen der strengen Sekte der Jansenisten und schließlich den Hugenotten gegenüberstand. »Christliche« Werte hatten durchaus Gültigkeit für sie – Selbstbeherrschung, ein starkes Mitgefühl für die Leidenden und eine Abneigung gegen Leichtfertigkeit und Verschwendung –, aber das waren eher Charaktereigenschaften als schwer errungene Früchte eines religiösen Strebens. Für ihre Persönlichkeit hatte die Religion nie eine besondere Rolle gespielt. Der Beichtvater, den sie sich ausgesucht hatte, Père Gobelin, ein ehrlicher, leicht manipulierbarer Mann, war als Seelenführer für sie von Anfang an ungeeignet, und was die außergewöhnliche Stellung betraf, die sie jetzt innehatte, war er völlig überfordert.
Ein Brief, den Françoise in dieser Zeit an Père Gobelin schrieb, zeigt, wie unaufgeregt ihr religiöses Herz schlug:
Ich bete kurz
507 , wenn ich aufstehe; in die Messe gehe ich an jedem gewöhnlichen Tag und an gebotenen Feiertagen zweimal; jeden Tag bete ich mein Brevier und lese ein Kapitel aus einem guten Buch; ich spreche ein Gebet, wenn ich zu Bett gehe, und wenn ich in der Nacht aufwache, spreche ich ein Laudate oder ein Gloria Patri. Tagsüber denke ich oft an Gott, und mein Handeln widme ich Ihm; ich bitte Ihn, mich vom Hof fortzunehmen, wenn ich hier nicht mein Heil erreichen kann, und im übrigen weiß ich nicht, was an dem, was ich tue, sündhaft sein könnte. Mein Naturell und meine guten Absichten hindern mich daran, etwas wirklich Böses zu tun. Ich liebe es, den Menschen zu gefallen und geschätzt zu sein, und deshalb hüte ich mich vor meinen anderen Leidenschaften, aber die sind im Grunde keine wirklichen Fehler, sondern nur normale menschliche Eigenschaften: ich bin sehr eitel und leichtfertig und faul, und ich bin in meinen Gedanken und Urteilen sehr frei, und deshalb bin ich vorsichtig in dem, was ich sage, aus normaler Klugheit. So also steht es mit mir; schicken Sie mir Ihre Anweisungen, die Sie als für meine Besserung geeignet erachten.
Das klingt nicht gerade nach einer Frömmlerin vom Schlage Bossuets oder nach einer Sünderin, die entschlossen ist, zu bereuen und ihre unsterbliche Seele zu retten. Im Grunde gibt Françoise zu erkennen, daß sie das Ganze eigentlich nicht ernst nimmt. Ihr Verhalten, wie sie es in groben Zügen umreißt, ist absolut einwandfrei. Sie hat keine Fehler, sondern »nur normale menschliche Eigenschaften«; sie ist unfähig, etwas »wirklich Böses« zu tun. Sie spricht ihre Morgen- und Abendgebete und geht wie alle anderen zur Messe; von den Schwächen, deren sie sich mit dreister Ironie bezichtigt – Eitelkeit, Leichtfertigkeit, Faulheit –, weiß jedermann, daß sie sie nie gehabt hat. Im Sinne der damals geltenden re
ligiösen Normen ist es ein schockierender Brief; er zeugt entweder von völliger Unkenntnis der damals angenommenen natürlichen menschlichen Neigung zur Sünde und des ständigen Bedürfnisses nach Demut und Buße oder, wofür mehr spricht, von einem beunruhigenden geistlichen Hochmut. Psychologisch betrachtet, bekundet Françoise in diesem Brief ihre Herablassung gegenüber dem von ihr gewählten Beichtvater, und sie zeigt, wie sehr sie gelangweilt ist von den kleinlichen Einschränkungen, welche die Kirche normalen, anständigen Leuten, die ein normales, anständiges Leben
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