Madame de Maintenon
er dürfe gegenüber Colbert meinen Namen erwähnen, wenn er irgend etwas braucht«, hatte sie Anfang 1679 ihrem Bruder geschrieben, und im Sommer 1680: »Ich werde mit Monsieur Colbert sprechen … und man wird dir dein Gehalt zahlen.« Madame de Sévigné ging in dieser Zeit soweit zu sagen, daß »Madame de Maintenon die Maschine ist
505 , die alles steuert« – zweifellos eine Übertreibung, in der sich aber zeigt, welchen Einfluß am Hof man ihr zutraute.
Dennoch wird Françoise selbst in Momenten eines ungebremsten Optimismus kaum geglaubt haben, den König dauerhaft beeinflussen zu können. Louise de la Vallière in ihrem finsteren Kloster, Angélique de Fontanges in ihrem frühen Grab, Athénaïs mit ihren sechs königlichen Kindern gedemütigt in ihren einsamen Gemächern, die Königin selbst in ihrer kläglichen Abhängigkeit von den Krumen vom Tisch einer Bediensteten sowie eine Heerschar von geringeren Sterblichen, die den König für ein Jahr oder für einen Tag erfreut hatten – sie alle gemahnten an die Vergänglichkeit seiner Gefühle, ja an die Vergänglichkeit aller Herrlichkeiten auf Erden.
Was hatte Louise jetzt von ihrer Schönheit, was Angélique von ihrer Kutsche mit acht Schimmeln? Was hatte Maria Theresia selbst von einer Krone, war sie doch das Gespött aller Kammerzofen, die ihr dienten? Françoise mit ihrer Intelligenz sah nur allzu deutlich die Schrift an ihrer mit Seide tapezierten Wand. Dies war es, was sie in verflossenen Tagen veranlaßt hatte, sich aus der Umarmung des Königs zurückzuziehen, und dies war es, was sie jetzt zu der Ansicht brachte, daß es nicht ausreichte, seine Mätresse oder seine Vertraute oder gar seine Beraterin zu sein – es war weder genug für sie noch, so redete sie sich ein, für ihn. Momentan hatte sie die Oberhand, so wie vor ihr Louise und Athénaïs und andere die Oberhand gehabt hatten. Sie ähnelte ihnen tatsächlich, aber sie war auch anders. Wo die anderen darauf gebaut hatten, daß sie Einfluß auf Ludwigs Herz hatten, würde sie ein stärkeres Band mit ihm schmieden, das ihm und auch ihr selbst bleibenden, ja sogar ewigen Ruhm sichern würde. Sie wollte nicht bloß als eine von vielen königlichen Mätressen gelten. Sie verfolgte ein sehr viel höheres Ziel. Françoise hatte beschlossen, die Seele des Königs zu retten.
Die Entscheidung war nicht Ausfluß einer echten Frömmigkeit, die Françoise neu bei sich entdeckt hätte. Darin of
fenbarte sich vielmehr ihr Bedürfnis nach einem ernsten Ziel im Leben und sicherlich auch eine taktische Anpassung an den zunehmend frömmlerischen Zeitgeist, der es mit sich brachte, daß ihr öffentliches Ansehen stieg. Der neue Plan verriet außerdem, wie Françoise das eher schlichte Religionsverständnis Ludwigs auffaßte: Für ihn galt es, die allgemeinen Konventionen zu beachten, den privaten Anforderungen zu genügen, den Herrn zu fürchten, wenngleich die Sünde bei aufrichtiger Reue vergeben werden konnte; die nur durch die katholische Kirche erreichbare Erlösung war das höchste Ziel jedes Menschen im Lande. Für sich erwartete Ludwig mit Sicherheit die Erlösung, wenngleich er seit seiner Mannbarkeit mit seinem Hunger auf unerlaubten Sex fast ständig im Zustand der Sünde gelebt hatte, der die Verdammnis nach sich ziehen konnte; dessen war er sich vollkommen bewußt, und bisweilen erfüllte es ihn mit Sorge. Aber wo der kämpferische Prediger Bossuet mit jahrelangen Drohungen und polternden Predigten nichts ausgerichtet hatte, wollte Françoise erfolgreich sein. Von nun an sollte es ihre Aufgabe sein, Ludwig von den sündigen sexuellen Liebschaften zu befreien, die seine unsterbliche Seele gefährdeten, und ihm dem Bett seiner rechtmäßigen Ehefrau wieder zuzuführen.
Im Spätsommer 1681 war sie sich eines zumindest vorläufigen Erfolges sicher und ließ das ihren Cousin Philippe in Mursay wissen. »Der König hat jetzt keine galanteries
506 «, schrieb sie, »und Du brauchst keine Angst zu haben, als schlecht informiert zu erscheinen, wenn Du das weitersagst.« Offen blieb dennoch die Frage nach ihrem Verhältnis zu Ludwig. War es nicht selbst eine galanterie ? Ironischerweise wurde jeder Verdacht, der auf sie fiel, von Athénaïs, die offiziell noch immer maîtresse déclarée war, abgelenkt, so daß die Höflinge, wie es Ludwigs Absicht war, über das, was sich im entscheidenden Bereich der königlichen Liebschaften abspielte, im unklaren blieben. Aber Françoise kannte die Wahr
heit, und
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