Madame de Maintenon
führen, um ihres Seelenheils willen auferlegt. »Was meine Kleider betrifft, werde ich etwas ändern«, fährt sie fort. »Gold werde ich nicht mehr tragen. So oder so liegt mir nichts daran. Es wird mich nicht stören. Ich gebe ohnehin zuviel Geld aus …«
Eine tiefreligiöse Françoise hätte nach der Aufgabe ihres sündigen Verhältnisses zum König vielleicht den Schleier genommen, so wie Louise de la Vallière, oder sie hätte sich wenigstens auf das Leben einer tugendhaften Schloßherrin auf Maintenon zurückziehen können, um den Armen zu helfen und gute Werke zu unterstützen, als die sprichwörtliche gute Fee im Komfort ihres eigenen Reiches. Doch es war nicht religiöse Überzeugung, was sie jetzt motivierte. Was sie vor allem wünschte, war das, was sie schon immer gewünscht hatte: bleibenden Respekt, in ihren eigenen Worten bonne gloire . Als Retterin der unsterblichen Seele des Königs würde sie etwas besitzen, was selbst die Höchstgestellten im Königreich nie besessen hatten, nicht Athénaïs, nicht Colbert und nicht einmal Bossuet. Ludwigs Weg zum Heil würde Françoises Weg zum Ruhm sein, und praktischerweise würde sie dabei noch ihre eigene Seele retten können. Wenn Glück oder Vorsehung sie so weit gebracht hatten, so ungeheuer weit von dem Punkt, an dem sie begonnen hatte, dann bedurfte es nur einer Andeutung von wahrem Ehrgeiz, um sie noch weiter zu bringen.
Françoise war keine geborene Strategin – ihren Aufstieg von dem unerwünschten Kind eines Gefängnisinsassen bis zu der »Maschine, die alles steuert« hätte ohnehin niemand planen können –, aber sie verstand es, die Chancen, die sich ihr boten, zu nutzen. Und am Hof hatte sich der Wind gedreht; Bossuet und seine Frommen hatten Boden gewonnen. Der König mußte den lustfeindlichen Jansenisten und den politisch verdächtigen Hugenotten die moralische Überlegenheit entreißen; die ausgefallenen Kostüme der Ausschweifung, die man zuvor mit Stolz und Pfiff getragen hatte, wirkten auf einmal schäbig. Nach dem Schock der Giftaffäre war man zu einem konventionelleren Umgang mit dem Übernatürlichen zurückgekehrt. Der Rückzug auf das gute Benehmen verlief nicht gleichmäßig – »Der Herzog von Vendôme
508 hat beim Billard 10 000 Écus gegen einen Prälaten (einen führenden Mann der Kirche!) verloren«, verkündete Madame de Sévigné mit gespieltem Entsetzen –, aber die allgemeine Tendenz war unbestreitbar. Frömmigkeit kam in Mode. Françoise ergriff die Gelegenheit, sich an die Spitze der neuen Entwicklung zu stellen. Mit neuer Entschlossenheit und wohl auch einer Portion Heuchelei tat sie einen ersten Schritt, um sich öffentlich mit den Frommen zu verbünden. Unter der angeblichen Schirmherrschaft »einer Dame von großer Tugend«, hinter der man alsbald sie selbst erkannte, veröffentlichte sie einen kleinen Bußtraktat, den Louise de la Vallière anläßlich ihres Eintritts ins Kloster verfaßt haben sollte. In Wahrheit war er das Werk des Herzogs von Beauvillier, Schwiegersohn des Ministers Colbert und ein bekannter Anhänger Bossuets, aber das machte für Françoises Zwecke jetzt keinen Unterschied, und so fragte sie weder Beauvillier, den wirklichen Verfasser, noch Louise, jetzt Schwester Louise von der Gnade, unter deren Namen der Traktat publiziert wurde. Bossuet verfaßte eine Einführung in diese Reflexionen über die Gnade Gottes , in der er seinen Lesern mitteilte, die »Dame von großer Tugend« habe es für
ein Unrecht erachtet, »den Gläubigen ein Werk vorzuenthalten
509 , das so nützlich für Sünder ist, die sich zu bessern wünschen«.
Père Gobelin, ernst und arglos, hatte sich als unfähig erwiesen, sein selbstzufriedenes Lamm in einen entsprechend bußfertigen Pferch zu führen. Aber auch der schlaue Bossuet hatte sich verrechnet. Überrascht und beeindruckt, wie sehr sie sich von der protzigen, habgierigen Athénaïs unterschied, hatte er Françoise so akzeptiert, wie sie sich öffentlich darstellte. Ihre unbestrittene Intelligenz, ihr würdevolles Auftreten, ihr diskretes Vorgehen, die Bescheidenheit ihrer Kleidung, ihr augenscheinliches Desinteresse an Ehren und Reichtümern, das alles vermittelte dem Außenstehenden, der Bossuet war, verstrickt in seine weitgehenden Ambitionen und vertrauend auf seine persönliche Urteilskraft, den Eindruck einer ungekünstelten Frömmigkeit, und er begann, in Françoise mit ihrem offenkundigen Einfluß auf Ludwig die ideale Schachfigur in seiner Strategie
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