Madame de Maintenon
offenbar verständnisloses Theologenhaupt war. Im März publizierte Bossuet seine Instruktionen , die er, boshaft wie er war, zusammen mit Fénélons Erklärung dem König vorlegte, wobei er sicherlich die Gelegenheit nutzte, in einer eigenen Erklärung zu begründen, warum er recht und Fénélon unrecht hatte.
Ludwig genügte es zu wissen, daß Fénélon unorthodoxe Ideen vorgetragen hatte. »Wenn er recht hat
841 «, sagte einer der Bossuet anhängenden Prälaten erschrocken, »müsssen wir das ganze Neue Testament verbrennen und erklären, daß Jesus Christus nur in die Welt kam, um uns vom rechten Weg abzubringen.« Für den König war wichtiger, daß von einer unorthodoxen Religion eine Gefährdung des Staates ausging: der Quietismus war wie der Jansenismus und das Hugenottentum eine Ermunterung zum Aufruhr. Fénélon war Erzieher der Enkelsöhne des Königs, unter ihnen der künftige König von Frankreich. Außerdem war er Erzbischof. In Saint-Cyr hatte er obendrein eng zusammengearbeitet mit – Madame de Maintenon.
»Der König beobachtet mich
842 voll Argwohn«, schrieb Françoise erschrocken an Noailles. »Daran bin ich nicht schuld, aber ich weiß, daß man es mir trotzdem anlasten wird. Alles Unorthodoxe ist dem König zuwider. Ich glaube, Gott will Fénélon demütigen – er ist auf seinem eigenen Weg zu weit gegangen … Ich dachte, er würde nichts Tadelnswertes schreiben, und habe mich völlig getäuscht«, fuhr sie nicht ganz überzeugend fort. »… Diese Affäre wird bestimmt nicht verschwinden, nicht in Rom, nicht in Frankreich und nicht im Herzen des Königs, und was den König angeht, so macht er sich Sorgen über die Wirkung auf die jungen Prinzen. Ich bin verzweifelt und beschämt, um der
Kirche willen, um Ihretwillen, um meinetwillen. Ich fürchte mich vor dem, was geschehen könnte, wenn diese beiden großen Leuchten die Sache bis zum bitteren Ende fortführen. Ich fürchte mich vor dem, was der König tun wird und wie er sich dafür vor Gott verantworten wird.«
Im April 1697 erhielt Fénélon die Anweisung, seine Erklärung Rom vorzulegen. »Falls er verurteilt wird
843 «, schrieb Françoise an Noailles, »wird das eine Brandmarkung sein, von der er sich nicht leicht erholen wird, aber wenn nicht, wird er ein bedeutender Beschützer für den Quietismus sein.« Mitte Juni wurde Fénélon zum König bestellt. »Ich habe ein Gespräch
844 mit dem geschliffensten und phantastischsten Denker meines Reiches geführt«, notierte Ludwig, dessen erdverhaftete Frömmigkeit von den »Strömen der reinen Liebe« völlig unberührt war. Da er offensichtlich zu dem Schluß gelangte, daß Fénélon zwar ein Schwärmer, aber im Grunde harmlos war, schickte er ihn fort in sein Erzbistum Cambrai im Nordwesten Frankreichs, enthob ihn jedoch nicht seines Postens als Erzieher der jungen Herzöge. In Cambrai schrieb und publizierte Fénélon weitere Bücher im Geiste von Madame Guyon, trotz einer amtlichen Verurteilung seiner Erklärung ; den prüfenden Prälaten hatte sie durchaus gefallen, doch der Papst, der sich bei Ludwig einschmeicheln wollte, hatte darauf bestanden, daß sie verurteilt wird. »In Frankreich kann man
845 jedenfalls denken, was man will«, bemerkte Liselotte gegenüber ihren ernsten lutheranischen Verwandten. »Sofern man nichts publiziert, regelmäßig zur Messe geht, seine üblichen Andachten hält und sich keiner politischen Gruppe anschließt, kann man denken, was man will, es interessiert keinen.«
In Versailles setzte der siegreiche und unaufhaltsame Bossuet seine Verwünschungen des Quietismus fort, was bei Ludwig nicht ohne Wirkung blieb, indem er noch einmal die politischen Weiterungen überdachte, die sich daraus ergeben konnten. »Der König ärgert sich
846 wieder über das,
was wir Fénélon erlaubt haben«, schrieb Françoise an Noailles. »Er macht mir deshalb schwere Vorwürfe … So streng, so herausfordernd, so unzugänglich habe ich ihn noch nie erlebt. Wenn ich ihn nicht so lieben würde, hätte er mich wohl schon längst fortgeschickt. Noch nie war ich so nahe daran, in Ungnade zu fallen«, fuhr sie fort, mit der überraschenden Bemerkung, daß es ihre eigene Zuneigung zu Ludwig war und nicht seine Liebe zu ihr, was sie bisher vor Schlimmerem bewahrt hatte.
»Das alte Weib ist nicht die glücklichste
847 Frau der Welt«, schrieb Liselotte. »Dauernd weint sie und redet vom Sterben. Ich glaube aber, sie macht das nur, um zu sehen, was die Leute dazu sagen.« Das
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