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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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zu einem vollständigen Mann, der groß und schlank ist, dichtes dunkelbraunes Haar und ein Grübchen in der linken Wange hat, in das man sich hineinfallen lassen könnte. Seine Freunde nennen ihn Hemingstein, Oinbones, Bird, Nesto, Wemedge oder was immer ihnen sonst gerade einfällt. Er nennt Kate Stut oder Butstein (nicht besonders schmeichelhaft!), einen anderen Kerl nennt er Little Fever und wieder einen anderen Großohreule. Er scheint jeden hier zu kennen, und alle lachen bei denselben Witzen und Geschichten. Sie senden blitzschnell geistreich verschlüsselte Pointen durch den Raum. Ich kann nicht mithalten, aber das macht mir nicht viel aus. Mich nurin der Nähe dieser fröhlichen Fremden aufzuhalten wirkt wie eine hochdosierte Transfusion guten Mutes.
    Kate kommt aus der Küche zu uns geschlendert, und er weist mit seinem perfekt geformten Kinn auf mich und fragt: »Wie sollen wir unsere neue Freundin hier nennen?«
    »Hash«, antwortet Kate.
    »Hashedad finde ich besser«, erwidert er. »Hasovitch.«
    »Und du bist Bird?«, frage ich.
    »Wem«, sagt Kate.
    »Ich bin der Kerl, der findet, dass getanzt werden sollte.« Er lächelt sein breitestes Lächeln, und kurz darauf hat Kates Bruder Kenley den Wohnzimmerteppich aufgerollt und macht sich am Victrola-Grammophon zu schaffen. Wir entern die Tanzfläche und tanzen uns durch einen Stapel Platten. Er ist kein Naturtalent, doch seine Arme und Beine sind beweglich, und ich merke, dass er sich in seinem Körper wohl fühlt. Er ist auch nicht zu schüchtern, um mir auf den Leib zu rücken. Bald sind unsere feuchten Hände ineinander verschlungen, und unsere Wangen sind sich so nah, dass ich seine Wärme spüren kann. Dies ist der Moment, in dem er mir schließlich sagt, dass sein Name Ernest sei.
    »Ich überlege aber, ob ich ihn wechseln soll. Ernest ist so langweilig – und Hemingway? Wer will schon einen Hemingway?«
    Höchstwahrscheinlich jedes Mädchen von hier bis zur Michigan Avenue
, denke ich und schaue auf meine Füße, um nicht rot anzulaufen. Als ich den Blick wieder hebe, sehen seine braunen Augen mich fest an.
    »Also? Was denkst du? Soll ich ihn ändern?«
    »Warte vielleicht noch etwas damit.«
    Ein langsames Lied ertönt, und er packt mich ohne zu fragen an der Hüfte und zieht mich an seinen Körper. Er hat einen breiten Brustkorb und starke Arme. Ich lasse meine Händesanft auf ihnen ruhen, während er sich mit mir durch den Raum dreht, vorbei an Kenley, der das Victrola voller Freude bedient, und vorbei an Kate, die uns mit neugierigen Blicken verfolgt. Ich schließe meine Augen und lehne mich an Ernest, rieche Bourbon und Seife, Tabak und feuchte Baumwolle, und alles an diesem Augenblick ist so klar und wunderbar, dass ich etwas für mich völlig Untypisches tue und mich ihm einfach hingebe.

Zwei
    Aus dieser Zeit gibt es ein Lied von Nora Bayes mit dem Titel »Make Believe«, das wohl die fröhlichste und überzeugendste Abhandlung über die Selbsttäuschung ist, die mir je zu Ohren kam. Nora Bayes war wunderschön, und sie sang mit einer zitternden Stimme, der anzuhören war, dass sie etwas von der Liebe verstand. Wenn sie einem riet, all den alten Schmerz, die Sorgen und den Liebeskummer über Bord zu werfen und zu
lächeln
, dann glaubte man, dass sie es selbst genauso getan hatte. Es war kein Vorschlag, sondern eine Verschreibung. Und es war wohl auch eins von Kenleys Lieblingsliedern. An meinem ersten Abend in Chicago spielte er es gleich dreimal, und jedes Mal hatte ich das Gefühl, es spräche direkt zu mir:
Make believe you are glad when you’re sorry. Sunshine will follow the rain.
    Vom Regen hatte ich schon reichlich abbekommen. Die Krankheit und der Tod meiner Mutter lasteten auf mir, aber die Jahre davor waren ebenfalls nicht leicht gewesen. Ich war erst achtundzwanzig, lebte jedoch wie eine alte Jungfer im zweiten Stock des Hauses meiner älteren Schwester Fonnie, die mit ihrem Mann Roland und ihren vier geliebten Kindern im Erdgeschoss wohnte. Ich hatte nicht vorgehabt, für immer dort zu bleiben. Ich war davon ausgegangen, dass ich heiraten oder einen Beruf ausüben würde wie meine Schulkameradinnen. Diese waren mittlerweile geplagte junge Mütter, Lehrerinnen, Sekretärinnen oder aufstrebende Werbetexterinnen wie Kate. Jedenfalls hatten sie sich hinausgewagt und lebten ihr eigenes Leben und machten ihre eigenen Fehler. Doch ich war schon lange, bevor meine Mutter krank wurde, irgendwoauf halber Strecke steckengeblieben und

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