Madame Zhou und der Fahrradfriseur
mich die kleine Bedienerin inzwischen wieder verschämt, aber frech anschaut, beschließe ich, sie zuerst zu interviewen. Herr Wu Ming widerspricht sofort: »In China muss man bei Gesprächen die Position der Partner beachten. Also zuerst die leitende Bedienerin, dann den Koch und zum Schluss die kleine Bedienerin.«
Die leitende Bedienerin Huai Hui Xian: »Meine Eltern sind Bauern in einem Dorf bei Shenqiu in der Provinz Henan. Auch ich habe als Kind schon auf dem Feld gearbeitet. Mit 14 Jahren musste ich die Schule verlassen, weil die Eltern zu arm waren. Ich sollte zu einem Onkel, der dort beim Militär diente, in dasTausende Kilometer entfernte Peking fahren. Die Eltern weinten beim Abschied und sagten immer wieder: ›Sei brav, Tochter, und mache im Leben, ohne zu fragen und ohne zu murren, immer das, was dir die Chefs sagen.‹ Der Onkel hatte einen Bekannten, und dieser besaß in einer Schule einen kleinen Laden. Zwei Jahre konnte ich dort als Verkäuferin arbeiten. Jeden Tag sah ich die Kinder, die so alt waren wie ich, aber die mussten nicht verkaufen, sie konnten in der Schule lernen. Nach zwei Jahren bekam ich einen Job in einem Fotoladen. Und 2006 durfte ich mich durch Vermittlung meines Freundes, der ein Koch ist, hier in diesem schönen Restaurant vorstellen. Ich arbeite gern, ich erhalte jeden Monat fast 2000 Yuan (200 Euro). Im Laden in der Schule waren es nur 400 Yuan.«
Der Koch Zhao Jian: »Ich bin 28 Jahre alt und vor 10 Jahren von Changqing in der Provinz Sichuan nach Peking gekommen. Ein Bekannter hat mit Geld nachgeholfen, damit ich an einer Kochschule aufgenommen wurde. Meine Eltern arbeiteten in einer kleinen Papierfabrik, und wenn sie spätabends von der Arbeit kamen, hatte ich manchmal eines der zwanzig Gerichte, die meine Mutter kennt, für sie gekocht. Sie waren sehr traurig, als ich nach Peking ging. Dort wohnte ich mit 12 anderen Schülern in einem kleinen Zimmer. Nach einem Jahr konnte ich entscheiden, ob ich die Ausbildung abbrechen will. Doch meine Eltern hätten sich zu Tode gegrämt. Ich lernte weiter, und vor 6 Jahren durfte ich hier im Pekingenten-Restaurant vorkochen. Erdnüsse süß-sauer mit Chilischoten und Hühnerfleisch, alles sehr scharf. Es hat dem Chefkoch geschmeckt.«
Die »kleine Bedienerin« Zhang Jie: »Ich habe zu Hause in Tianshui in der Provinz Gansu in einem Teehaus gearbeitet. Doch alle jungen Leute bei uns wollten damals nach Peking. Mit zwei Freunden bin ich, ohne hier einen Menschen zu kennen, in die chinesische Hauptstadt gefahren. Die Eltern gaben mir mit auf den Weg, dass ich viel lernen soll, um die Welt zu begreifen. Doch wie andere Wanderarbeiterinnen er hielt ich in Peking nur eine Arbeit in einer Textilfabrik und musste für sehr wenig Geld – nicht einmal 300 Yuan im Monat – Kleider und Anzüge nähen. Das Geld reichte kaum für Reis und Soße. Ich konnte kein Fleisch essen, kein Obst, kein Gemüse, und ich hätte den Eltern nie ein Geschenk kaufen, nie einen Wunsch erfüllen können. Aber ich hatte dann Glück im Leben, ein Bekannter stellte mich hier im Restaurant vor. Und ich bekam die Stelle als Bedienerin.«
Die leitende Bedienerin, der Koch und die kleine Bedienerin
Die drei sitzen immer noch, die schwitzenden Hände gefaltet oder am Stuhl reibend, brav wie Zinnsoldaten vor uns auf ihren Stühlen. Nur, wenn der Tee ausgetrunken oder die Nüsse an unserem »Prüfertisch« aufgegessen sind, springt die kleine Bedienerin auf, serviert neuen Tee und bringt eine Schale Nüsse.
Nun, da ich das Wichtigste über sie wüsste, sagt Herr Wu Ming, könnte ich sie auch nach Einzelheiten fragen.
Ich stelle ihnen wie später all meinen anderen Gesprächspartnern vier Fragen, von denen ich nicht weiß, ob es in China wirklich wichtige Fragen sind:
Was ist für dich ein guter Tag?
Was ist für dich ein schlechter, um nicht zu sagen beschissener Tag?
Was wünschst du dir für dein künftiges Leben?
Was wünschst du China?
Es scheinen wichtige Fragen zu sein, denn sie lachen, reden durcheinander, und dann beginnt die leitende Bedienerin: »Ein guter Tag ist für mich, wenn ich freundlich bin, und weil ich immer freundlich bin, habe ich nur gute Tage.«
Der Koch meint, dass ein guter Tag lediglich dann ein guter Tag ist, wenn er ein neues Gericht gelernt hat. »Als ich von Sichuan wegging, sagten die Eltern: ›Werde ein guter Koch, es gibt tausend verschiedene Gerichte in unserer Provinz, deshalb darfst du lernen, bis du alt bist.‹ Ich koche
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