Madame Zhou und der Fahrradfriseur
sie im Jahr verdienen, legen sie 12 000 Yuan zurück. »In 5 Jahren sind das 60 000 Yuan – dafür kann man sich im Dorf ein kleines Haus bauen lassen und mit dem Mann dann endlich zusammenwohnen«, sagt die leitende Bedienerin.
»Und die Liebe hier?«
Die Kleine: »Man geht zusammen in den Park.«
Die leitende Bedienerin: »Im Winter, wenn es für den Park zu kalt ist, verzichte ich auf den Imbiss und bezahle stattdessen ein kleines privates Zimmer für eine Nacht.«
Herr Wu Ming unterbricht. Darüber müssten wir nicht sprechen. Und er fragt, ob sie noch nach den Lehren des weisen Konfuzius leben.
Die leitende Bedienerin: »Er lehrte die Chinesen die Achtung vor den Eltern. Und ich habe hier in Peking nur einen Wunsch: dass es meinen Eltern zu Hause immer gut ergeht.«
Der Koch: »Konfuzius wollte, dass wir Jungen die alten Menschen ehren – und das mache ich.«
Die Kleine: »So denke ich auch.«
Eine wichtige Frage habe ich vergessen: »Wie viel Mut gehört dazu, mit 14 oder 18 Jahren aus eurem Dorf in das Tausende Kilometer entfernte Peking zu gehen und mit 9 Millionen anderen Wanderarbeitern auf einen Job in der 17-Millionen-Stadt zu hoffen?«
Und alle drei sagen: »Was sollten wir sonst machen?«
Der Koch verabschiedet sich. Obwohl die Mittagspause für die Mitarbeiter noch nicht zu Ende ist, muss er die Gerichte für das Abendessen vorbereiten. Die zwei Bedienerinnen zeigen mir noch die Räume des Restaurants. In einem Saal hängen zwischen goldenen Masken und roten Lampions viele Bilder von chinesischen und ausländischen Politikern, die im Restaurant schon Pekingente gegessen haben. In einem Séparée steht gegenüber der Tür – so sieht ihn jeder, und er kann jeden begrüßen – ein den zwei Frauen bis zu den Schultern reichender Gnom. Er hat sehr kurze Beine, einen geschrumpften Körper und einen überdimensionalen Doppelkopf. Sein Gesicht wird von einem langen, zottigen weißen Bart geziert, und über der flachen Stirn hat er einen riesengroßen Glatzkopf. In einer Hand hält er einen buntenPapagei mit großem Hahnenkamm, in der anderen einen braunen Ast, aus dem ein grünes Blatt wächst. Es ist ein taoistischer Glücksbringer, sagen die zwei Bedienerinnen und bitten, dass wir uns zu dritt hinter ihm fotografieren lassen.
Herr Wu Ming hat für heute noch ein Interview mit dem Doktor der Philosophie, Herrn Rong Jian, organisiert. Dieser marxistische Philosoph ist nach den, wie Herr Wu Ming sagt, »schlimmen Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens« von seiner Lehrtätigkeit entbunden worden. »Aber inzwischen ist er einer der angesehensten Galeristen in Peking!«
Am Ende der Woche werden wir, wie vereinbart, für 8 Tage nach Tai’an und Jinan fahren und, wie Herr Wu Ming verspricht, vier interessante Menschen kennenlernen: einen Unternehmer, der eine Röhrenfabrik besitzt, einen taoistischen Abt, der, ohne mit fremden Leuten zu sprechen, ihre Probleme kennt, einen Heiler, der die chinesische Medizin auch in Deutschland bekannt machen möchte, und einen Dichter, der früher Lobeshymnen auf Mao verfasst hat.
Herr Wu Ming will schon morgen die Tickets für die Hin- und Rückfahrt buchen. »Ohne Fahrkarte für einen bestimmten Platz im Zug kommt niemand durch die Sicherheitsschleuse auf dem Bahnsteig.«
Die Restaurantleiterin schenkt Klaus und mir zur Erinnerung einen als Hardcover gebundenen Prospekt, in dem die Geschichte des traditionsreichen Pekingenten-Restaurants beschrieben und die Speisen abgebildet sind. Danach spricht sie aufgeregt mit Herrn Wu Ming, und weil sie wohl in der Zwischenzeit die drei Interviewten gefragt hat, worüber wir gesprochen haben, erlaubt sie, dass ich deren Namen nenne, bittet aber darum, den Namen ihres Restaurants, in dem die Gespräche stattgefunden haben, nicht zu erwähnen. Ich sage lachend, dass ich auf keinen Fall den Satz »Wir sitzen mit Herrn Wu Ming im Restaurant Wu Ming« schreiben werde, sondern bei »Li Li« bleibe.
Klaus hat in der Zwischenzeit mit der von ihm ausgesuchten chinesischen Dolmetscherin den Reisetermin nach Jinan und Tai’an besprochen. Sie kann nicht, wie Herr Wu Ming geplant hat, 8 Tage, sondern nur 5 Tage mitfahren. Obwohl Herr Wu Ming sehr heftig protestiert und immer wieder betont, dass doch alles abgesprochen war, müssen wir das Programm kürzen. Daraufhin verabschiedet sich unser Gastgeber sehr hastig. Das Gespräch mit dem Galeristen sollen Klaus und ich ohne ihn führen. Und damit geht er.
Ich nehme an,
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