Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Bürgermeister eines Dorfes sprechen. Allerdings müsste ich einen Dolmetscher mitbringen. Darauf besteht er.
»Sie sprechen doch sehr gut Deutsch«, sage ich.
»Aber ich werde nur Ihr Begleiter sein und nicht Ihr Dolmetscher!«
Er ist heute zwar schon Pensionär, aber immer noch ein Mann mit politischen Beziehungen. Deshalb wünscht er, dass ich nichts über seine Identität schreibe, und besteht darauf, dass sein Name im Buch nicht genannt wird.
Das muss ich ihm, noch bevor die Kellner die Pekingente auftragen, versprechen. Und nenne ihn also Herr Wu Ming – Herr Namenlos.
Eine kleine Kellnerin füllt den Drehtisch mit rohem und gesottenem Gemüse, mit Fisch und Fleisch. Sie strahlt dabei und steht fast andächtig, als der Oberkellner auf einer großen Platte die wie ein Spanferkel glänzende Pekingente hereinbringt und mit einem säbelähnlichen scharfen Messer ihre oberen Schichten tranchiert. Herr Wu Ming legt mir mit seinen Stäbchen diese nach seiner Meinung schmackhaftesten Stücke auf den Teller. Knusprige, papierdünne Haut, unter der sich eine saftige, dicke, weiche Fettschicht und zartes Fleisch befinden. Herr Wu Ming erklärt, dass nicht allein die Zubereitungim Backofen über den Geschmack der »Pekingente« (die erst im 15. Jahrhundert mit dem Umzug des Kaiserhofes von Nanking nach Peking gekommen ist) entscheidet. Knapp zwei Monate nach dem Schlüpfen müssen die Enten ihr Einheitsgewicht von rund 5 Pfund erreicht haben. Die letzten zwei Wochen der Mast dürfen sie nicht mehr laufen und müssen, damit die Haut dünn und das Fleisch zart bleibt, nur noch hocken und Spezialitäten wie Sesam, Hirse und Bohnen fressen.
Das nach Mandeln und Nüssen duftende Fleisch zergeht auf der Zunge, und ich glaube die angenehme Süße des Faulseins zu schmecken. Um den Genuss zu vollenden, tunkt man kleine Häppchen des Entenfleischs in pikante Soßen und wickelt es dann zusammen mit Frühlingszwiebeln, Gurkenstreifen oder anderem Gemüse in handtellergroße Fladen. Und das alles mit Essstäbchen!
Nach unserem wiederholten Lob für die in Gefangenschaft gemästete Pekingente sagt Herr Wu Ming unvermittelt: »In einem kleinen Land wie der DDR kann man den Sozialismus leichter umschubsen als in dem Riesenreich China.« Und während die kindlich lachende Kellnerin gebackene und mit karamellisiertem Honig übergossene Ananasstücke auf den Drehteller stellt, philosophiert er wie gestern Herr Gao Feng im Kinderdorf über die Lehre des Konfuzius.
«Den Kindern wird heute wieder beigebracht, die Eltern nicht nur zu achten, sondern für sie ein Leben lang zu sorgen. Sie ehren alte Menschen und eignen sich ihre Weisheit an. Sie können sich nach dem Essen selbst davon überzeugen.«
Erhat in der Mittagspause zwischen 14 und 16 Uhr drei junge Angestellte des Restaurants, die vor einigen Jahren aus ihren Dörfern nach Peking gekommen sind, zu Gesprächen bestellt.
»Unsere kleine Bedienerin – in China sagt man zur Kellnerin Bedienerin – wird auch dabei sein.« Sie räumt den Tisch ab, weiß scheinbar schon von dem Gespräch, denn sie schaut mich unsicher an und kichert verlegen, weil ich ihr die Tellerreiche. (Später erfahre ich, dass kein chinesischer Gast auf eine derart komische Idee kommt.)
Die Restaurantchefin stellt drei Stühle nebeneinander. Herr Wu Ming bedankt sich bei ihr und sagt, dass sie während des Gesprächs nicht dabei sein muss. Sie geht, lässt die Tür offen, und drei junge Leute trippeln herein, bleiben hinter den Stühlen stehen, bis Herr Wu Ming ihnen sagt, dass sie sich setzen dürfen. Es ist noch eine zweite Bedienerin mitgekommen. Beide sehen sich mit der über der Stirn schräg geschnittenen Pagenfrisur, dem dunklen Hosenanzug, den weißen Schillerkragen und den roten Namensschildern am Jackenrevers zum Verwechseln ähnlich. Allerdings hat die »kleine Bedienerin« ihre Lippen nicht so grellrot geschminkt wie ihre Kollegin, bei der über dem Namensschild außerdem eine gelbe, lachende Blume prangt. Zwischen den beiden Frauen sitzt in grau-schwarz gestreiften Hosen und einer weißen Kochjacke, die Hände im Schoß ineinander verhakt und unbewegt geradeaus schauend, einer der Köche.
»Sie können alle drei, die zweite Bedienerin ist eine leitende Bedienerin, nach ihrem früheren Leben und ihrer Arbeit heute, also nach allem fragen, was sie interessiert«, sagt Herr Wu Ming.
Ich fühle mich jedoch unwohl, wie ein Prüfer, der die bedauernswerten Prüflinge befragen muss. Doch weil
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