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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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jetzt seit 10 Jahren und beherrsche rund 150 Gerichte. Um alle 1000 zu kennen, muss ich mindestens 84 Jahre alt werden.« Dann fügt er hinzu: »Der glücklichste Tag in meinem Leben war, als ich den Eltern am Telefon sagen konnte: ›Mama, heute habe ich mein erstes Geld verdient.‹«
    Für die kleine Bedienerin reicht ein Kompliment vom Chef, damit es ein guter Tag ist.
    »Und ein schlechter?« Sie dreht die in den Schoß gelegten Hände hin und her: »Weiß ich nicht … Sag ich nicht.«
    Die leitende Bedienerin: »Wenn ich mich mit meinem Freund gestritten habe.«
    Und der Koch: »Der schlimmste Tag für mich ist, wenn betrunkene Männer im Restaurant ins Essen spucken.«
    Alle drei haben einen Wunsch gemeinsam: Mindestens ein oder zwei Mal möchten sie im Jahr nach Hause fahren und den Eltern Geschenke bringen. Der Koch eine Pekingente, eine besondere Trockenfrucht und Geld. Die leitende Bedienerin: »Zigaretten, Klamotten und Tee …« Und die kleine Bedienerin: »Auch Zigaretten, Klamotten und Tee.«
    »Und was wünscht ihr euch für eure Zukunft?«
    Die kleine Bedienerin träumt davon, »irgendwann für immernach Hause zu gehen und dort einen Kosmetikladen zu eröffnen«.
    Der Koch möchte ein Buch mit seinen Gerichten herausgeben, das überall in China verkauft werden soll. »Auf der ersten Seite würde ich das Lieblingsessen meiner Mutter vorstellen: Schweineleber mit saurem Kraut.«
    Die leitende Bedienerin: »Ich wünsche mir für meinen Freund und mich ein kleines Restaurant. Er kocht, und ich bediene. Aber das wird noch sehr, sehr lange ein Wunsch bleiben.«
    Ihren Wunsch für die Zukunft Chinas wird man dagegen schneller erfüllen müssen, meint sie. »In China sollten alle Kinder, ohne dass die Eltern Geld dafür bezahlen müssen, auch nach der Grundschule weiterlernen dürfen. Sonst studieren nur noch die Kinder von Reichen, und die sind nicht immer die Begabtesten und oft auch keine Menschen, die unserem Land und seinem Volk später selbstlos Nutzen bringen.«
    Der Koch wünscht sich mehr Rechte für die 9 Millionen in Peking arbeitenden Menschen aus den oft weit entfernten Dörfern und kleinen Städten. »Auch die, die keine Hukou-Einwohnerkarte besitzen, sollen in Peking gesundheitlich betreut werden, hier zur Wahl gehen dürfen, ihre Kinder sollen hier eingeschult werden und die Familien eine neue Bleibe erhalten, wenn die alte abgerissen wird. Sie sollen, weil sie für die Stadt den Reichtum erarbeiten, wie gleichberechtigte Bürger behandelt werden und nicht wie Menschen zweiter Klasse.«
    Die kleine Bedienerin sagt nur: »Ich meine das auch.« Nach einer Pause fügt sie noch hinzu: »Außerdem möchte ich, dass in China nicht reiche Ausländer bestimmen, sondern die Chinesen selbst.«
    Ohne dass ich sie danach fragen muss, berichten die inzwischen lebhafter gewordenen drei, wie sie ihre Freizeit – zwei Tage nach jeweils vier Dienstwochen – verbringen.
    Die leitende Bedienerin: »Ich spaziere durch ein Kaufhaus,schaue mir die Markenklamotten an, und zwei Mal im Monat leiste ich mir dort auch einen Imbiss.«
    Der Koch surft im Internet und erholt sich im Park.
    Die Kleine geht in Textilgeschäfte. »Früher musste ich Kleider nähen, aber konnte mir keines kaufen. Heute schaue ich sie mir alle sehr lange an und sage der Verkäuferin schließlich: ›Dieses möchte ich haben!‹« Stolz würde sie es dann den 5 Mitbewohnerinnen in ihrem 10 Quadratmeter großen Gemeinschaftszimmer zeigen.
    Auch die leitende Bedienerin und der Koch sind in solch winzigen Zimmern untergebracht, in denen jeweils 6 wohnen. Und weil die zwei Bedienerinnen einen festen Freund haben, will ich wissen, obwenigstens die Freunde ein eigenes Zimmer besitzen.
    Die zwei schütteln den Kopf.
    Der Freund der Kleinen muss sich sogar ein Zimmer mit 11 Männern teilen.
    »Und was ist mit der Liebe, wenn ihr, die ihr von weither gekommen seid, hier allein sein wollt?«
    Sie kichern leise in sich hinein, rutschen auf den Stühlen hin und her und sagen nichts.
    Ich will ihnen einen Brücke bauen und erzähle, dass ich den zwei Studenten, die mit mir in einem Zimmer wohnten, ab und an eine Kinokarte spendierte, um drei Stunden Zeit für die Liebe zu haben.
    Sie protestieren sehr laut und sagen, dass sie sich nicht einmal eine, geschweige denn fünf Kinokarten leisten können.
    »Wir sind nicht nach Peking gegangen, um uns zu amüsieren und Geld auszugeben, sondern um zu arbeiten und Geld zu sparen.«
    Von den rund 20 000 Yuan, die

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