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nächste Stufe des Schreckens: Die Stimme aus
dem kleinen Lautsprecher aus der Zimmerecke ruft „Herr Yanar, bitte!”
Für einen neuen Pass mit anderem Namen ist es zu spät. Also schleiche ich ins Behandlungszimmer und vermisse plötzlich das Wartezimmer – denn dort hatte ich immerhin nicht alleine Angst. Ich hätte ja Händchen halten oder mir mit einem Teelöffel einen Tunnel graben können – hätte, hätte, hätte!
Die folgenden 20 Minuten sitze ich allein dort, mit einem Lätzchen an einer Metall(!)-Kette an den Zahnarztstuhl gefesselt und schaue mir die Instrumente des Schreckens an: Bohrer, Haken, Zangen … ich habe nie nachvollziehen können, was an Baumärkten so faszinierend sein soll! Ich habe Zeit genug, mir die Schmerzen vorzustellen, die diese Geräte auslösen können. Ich denke: Vielleicht habe ich ja Glück, und er macht mit mir nur Waterboarding.
Daraus bestehen Zähne
Als der Zahnarzt reinkommt, heule ich sofort los: „Ja, ich gestehe es: Ich bin mit dem Flugzeug ins World Trade Center geflogen! Nur tun Sie mir bitte nicht weh!”
Der Zahnarzt lässt sich nicht beirren: „Machen Sie mal den Mund auf – schön weit die Klappe aufreißen, wie Sie das im Fernsehen auch immer machen.”
Ich will noch sagen: „Für die Witze bin ich hier verantwortlich!” Da hackt und fummelt und rüttelt und zerrt er schon in meinem Mund herum und schaut, ob die Zähne noch fest sind. Es fühlt sich an wie ein Zungenkuss von einer russischen Kugelstoßerin. Das macht er so lange, bis die Zähne nicht mehr fest sind und er ein Loch findet: „Das war zwar noch nicht da, bevor ich rumgestochert habe, aber egal! Das muss gebohrt werden!”
Daraus bestehen Kayas Zähne
Und statt mir zu sagen: „Ihr Eckzahn hat ein Loch”, fängt er an, Latein zu quatschen: „7 oben links partiell kariös, palestinal, Narkotikum guttural, errare humanum est, Marcus in Colosseum stat, sed ubi est Cornelia ...”
Spätestens dann werde ich ohnmächtig. Ich bin kein Weichei. Wenn ich beim Fußball jemandem so sehr vors Schienbein trete, dass ich mir den Zeh breche, dann braucht der Schmerz ein bisschen, bis er oben im Hirn ankommt. Der Schmerz wandert, und ich kann mich mental darauf einstellen. Zahnschmerzen wandern nicht. Zahnschmerzen sind wie Zeugen Jehovas: Die sind plötzlich einfach da! Ich hasse das!
Am schlimmsten ist es, wenn der Weisheitszahn gezogen werden muss.
Das ist schlimmer als bohren. Normalerweise ist es ja so: Wenn ein Zahn gezogen werden muss, dann ist er morsch und verfault. Dann leistet er keinen Widerstand mehr. Er weiß selber, dass er rausmuss. Der Zahn sagt sich: „Ich sehe scheiße aus und stinke nur rum. Es hat keinen Zweck mehr, ich muss hier raus! Die anderen Zähne hänseln mich. Also, lieber Arzt, erlöse mich bitte!”
Ein Ruck – und er ist draußen.
Der Weisheitszahn ist anders. Der ist gesund, der ist stark, und das weiß er auch. Der bleibt da. Der sagt dem Arzt: „Isch komm hier ned raus!”
Und der Arzt sagt: „Du musst aber raus! Es ist kein Platz mehr im Kiefer!”
Der Zahn erwidert: „Nimm doch einen von den kleinen Arschlöchern von vorn – ich bleibe hier drin!”
Eine schöne Vision, die aber einen entscheidenden Nachteil hat: Diese Diskussion gewinnt immer der Arzt! Und dann zückt er die Zange und wendet alle physischen Hebelgesetze gleichzeitig an:
Vorne, hinten, links, rechts – vorne, hinten, links, rechts. Es ist, als sähe man einer Frau beim Ausparken zu! Aber ohne Ergebnis: Der Zahn bewegt sich nicht.
Dann zerrt der Arzt an meinem ganzen Kopf: vorne, hinten, links, rechts. Der Zahn sitzt bombenfest.
Danach wackelt die ganze Praxis – vorne, hinten, links, rechts!
Zehn Minuten später messen Geologen heftige Erdstöße in unmittelbarer Nähe der Zahnarztpraxis! Alles bewegt sich, nur nicht mein Weisheitszahn!
Nach einer halben Stunde ist er endlich draußen. Ich dachte zum Schluss, mein ganzer Schädel kommt mit raus! Dann endlich Ruhe. Ich atme durch. Doch dann höre ich meinen Zahnarzt sagen: „Äh, sagte ich 7 oben links ? Ich meinte natürlich 7 oben rechts !“
Mit meinen 37 Jahren spüre ich, dass ich langsam alt werde. Ich frage mich nur, was ich die letzten Jahre gemacht habe. Ich fühle mich wie ein 17-Jähriger, dem man sagt: „Du bist zwar 17, aber durch einen unglücklichen Rechenfehler haben wir dir 20 Jahre abgezogen. Also bist du schon 37!”
Das ist nicht schön: im Kopf noch ein Teenager und körperlich schon unterwegs
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