Madonna, ein Blonder!
ich zum ersten Mal in der Bar bin, gehe ich davon aus, dass es an allen 365 Tagen des Jahres so abläuft wie heute:
Man betritt das » Papagallo« (oder eine andere Bar zwischen Bozen und Palermo).
Man holt den scontrino.
Man ruft dem Barista ein » Ciao!« zu und bekommt ein » Ciao, carissimo/a!« zurück.
Man bestellt.
Man kippt den Inhalt der Tasse so schnell wie möglich in den Rachen.
Man ruft erneut » Ciao!« und bekommt eventuell » Ciao und viele Grüße an die ganze Familie!« zurück.
Man geht.
So weit die Theorie. Nur habe ich immer noch keinen Cappuccino vor mir, den ich runterkippen könnte. Was macht Dino bloß? Um mich herum wedeln Menschen nervös mit dem scontrino und geben mir die Schuld, dass der normale Ablauf stockt.
Man hört jetzt » Psch«.
Und noch stärker:
Pschpschpsch!
Ich sehe in Dinos Hand etwas, das aussieht wie eine Sprühdose.
Um Gottes willen, es ist eine!
Er dreht sich um. » Ecco!« Da schau her! In der Hand hält Dino strahlend ein Wunderwerk der Konditorkunst: Extra für mich hat er einen sich v-förmig öffnenden Sektkelch an der Innenseite mit einer Spirale aus brauner Schokocreme verziert, ihn dann bis auf halbe Höhe mit einer hellbraunen Kaffee-Milch-Mischung gefüllt– und darüber erhebt sich ein gewaltiger Berg Sprühsahne, der den Glasrand überragt wie der Mount Everest andere Berge des Himalaja. Der Sahnegipfel selbst wird gekrönt von einer dicken Schicht Kakao, die sich bereits einschließlich eines Teils der Sahne als braun-weiße Lawine in Richtung Untertasse in Bewegung gesetzt hat.
» Extra für dich.« Dino strahlt.
» Grazie, Dino!« Ich muss mich wohl oder übel bedanken, denn der Barista schaut mich trotz der nervösen Unruhe der Wartenden immer noch begeistert an. Wahrscheinlich denkt er, dass die nordalpine Kaffeekultur sich nach wie vor auf dem Stand der Achtzigerjahre befindet und jeder blonde Mensch Cappuccino mit Sahnebergen liebt. » Panna«, erklärt Dino jetzt und deutet auf den Mount Everest, als hätte ich es noch nicht begriffen.
Ich nicke und nehme meine erste Expedition auf den Sahnehimalaja in Angriff. Als würde ich ein Ei köpfen, kappe ich gekonnt den kakaobraunen Sahnegipfel und führe rasch hintereinander löffelweise den süßen Matsch zum Mund. Mehrere Gäste schauen gebannt zu.
» Bist du Engländer?« Ein Mann neben mir spricht mich mit einem übertrieben prononcierten Italienisch an.
» Nein, aus Deutschland.«
Der Mann runzelt die Stirn: » Ich hätte gedacht, du kommst aus England.«
Ich, irritiert: » Nein, aus Deutschland.«
» Oder aus Schweden, Norwegen?«
Seine Frau mischt sich ein. » Oder aus– wie heißt das noch mal– Island?«
» Nein, tut mir leid«, antworte ich geduldig, » ich stamme aus Deutschland.« Offenbar bin ich mitten in die Kaffeepause des Volkshochschulkurses » Kulturen Nordeuropas« geplatzt.
Jetzt macht der Mann zu allem Überfluss dasselbe komische Geräusch wie gestern der Pizzadienst, als ich auf meinem dicken Belag beharrte: » Boh!«, und schiebt dabei sein Kinn nach vorne. » Boh!« muss so etwas heiße n wie » Na ja, ich weiß nicht…« oder » Wenn du meinst…«.
Seine Frau gibt nach wie vor nicht auf. » Ich meine wegen der Haare. Die Völker des Nordens haben doch solche Haare wie Sie.«
Ich komme mir allmählich vor wie bei einer Völkerschau, wie sie etwa Carl Hagenbeck im 19. Jahrhundert veranstaltete: » Echte Hunnen! Echte Goten! Nur diese Woche! Die blonden Völker des Nordens! Sie fressen rohes Fleisch! Sie trinken Cappuccino mit Sahne!«
» Posso?« Die Signora fragt höflich um Erlaubnis, greift dann aber, ohne meine Antwort abzuwarten, in meine Haare. » Che capelli!«, ruft sie aus und schaut sich um, als wollte sie andere dazu ermutigen, ebenfalls diese einmalige Erfahrung zu machen und einem Nordmenschen die Locken zu zausen.
» Sie sind echt«, sagt die Frau und gibt die Botschaft wie eine Sensation nach hinten weiter. » Madonna, sie sind echt.«
» Madonna, wie schön«, echot eine Frau im Hintergrund und schlägt entzückt die Hände zusammen, sodass ihr Mann beinahe seinen Cappuccino verschüttet. » Schau dir diesen Blonden an!«
Als ich ebenfalls hinter mich schaue, bemerke ich, dass auch die hübsche Elisa noch da ist und das Theater um meine Haare beobachtet, wobei sie sich bestens zu amüsieren scheint. Sie trinkt gerade den letzten Schluck aus ihrer Cappuccinotasse, Dino räumt sie weg, und ich höre Elisa deutlich sagen: » Grazie,
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