Madonna, ein Blonder!
dass der Petersdom in der Zwischenzeit abgerissen wurde, muss ich genauer suchen. Und siehe da: Mich riskant über den Abgrund beugend, dabei an einer Trennwand zum Nachbarn vorbeilugend, entdecke ich sie tatsächlich, die Kuppel des Petersdoms. Strahlend weiß. Ein erhebender Moment sicher, wenngleich mit einem gewissen Aufwand verbunden. »Blick auf den Petersdom!«, stand in der Anzeige. Ha! So wie bei jenen Ferienhotels, die nur » 100 Meter vom Strand entfernt« sind, man diesen aber nur unter Lebensgefahr erreichen kann, indem man die vierspurige Schnellstraße überquert.
Was soll’s. Hauptsache, ich bin endlich angekommen.
Nachdem ich drei Stunden auf der Wohnzimmercouch geschlafen habe, verbringe ich den Tag damit, die Wohnung, meine Wohnung, einzurichten. Das geht schnell, sie ist ja möbliert– mit einem Mix aus » Brauch-ich-nicht-mehr«-Möbeln des Vermieters und Vorhängen und Lampen von Ikea, die offenbar alles etwas » freundlicher« und » jünger« aussehen lassen sollen. Als ich nach beendetem » Einzug« am Abend mein Namensschild auf die Klingel und den Briefkasten klebe, finde ich darin einen Prospekt des Pizzadienstes » Kiss Pizza« vor. Zum Glück funktioniert meine alte italienische Handykarte noch, die ich gleich nach der Ankunft in der Wohnung feierlich statt meiner deutschen Simcard installiert habe, und ich wähle die angegebene Nummer. Auch das erscheint mir historisch: das erste Telefonat in Rom!
» Kiss Pizza, buona sera?«, fragt eine Stimme.
» Buona sera«, antworte ich und ordere die gleiche Pizza, die ich immer und überall bestelle. » Eine Capricciosa mit allem, extra Oliven und extra Käse.« Reichhaltiger belegt geht es nicht.
Zufrieden lächle ich: Meine Bestellung müsste zweifelsfrei verstanden worden sein.
Doch aus dem Hörer kommt zurück: » Sicher?«
Das bringt mich durcheinander. » Wie, sicher?« In meinem Hirn hüpft ein großes rotes Fragezeichen auf einem Trampolin auf und ab.
Der Bestellungsannehmer macht » Eeeh!« und sagt: » È tanto!« Das sei viel, meint er. Wie soll ich das verstehen?
» Was zu viel? Zu viel Belag?«
Der Pizzamann am anderen Ende der Leitung äußert sich nicht auf meine Nachfrage. Er macht ein Geräusch, das wie » Boh!« klingt und fügt hinzu: » A posto«, in Ordnung. Und dass die Pizza in einer halben Stunde kommen werde.
» Ciao!«
Als das Gespräch beendet ist, schaue ich stirnrunzelnd auf mein Telefon, als hätte ich eine SMS in babylonischer Keilschrift erhalten. Hat der Mann vom Pizzadienst gerade ernsthaft gesagt, ich hätte » viel« oder » zu viel« Belag bestellt? Und was war das für ein komisches Geräusch, was er gemacht hat, dieses » Boh«?
Als die Pizza kommt, ist sie genauso dick belegt, wie ich sie haben wollte. Na also, geht doch.
Nach dem Essen setze ich mich auf die zwar weich aussehende, tatsächlich aber harte Couch und schalte den Fernseher an. Im ersten Programm läuft die Wettervorhersage des Staatssenders Rai Uno: Doch anders als in Deutschland steht da kein schlaksiger Diplom-Meteorologe oder eine blonde Schönheit, sondern ein Mann in perfekt sitzender dunkelblauer Uniform. Auf der Brust hängen mehr Orden, als der Bildausschnitt überhaupt zeigen kann, und sein Beruf ist mit » Marschall der italienischen Luftwaffe« angegeben. Der Maresciallo schaut jetzt so streng in mein Wohnzimmer hinein, als könne er sehen, wie lässig ich mich vor den Fernseher gefläzt habe. Jetzt sagt er, wiederum ohne zu lächeln und mit heiligem Ernst in der Stimme: » Das vom Atlantik kommende Tief wird Italien nicht, ich wiederhole nicht, berühren und das wunderschöne Sommerwetter nicht beeinträchtigen.« Er klingt so erleichtert über die Fortdauer des bellissimo tempo, als würde er vermelden, dass herannahende feindliche Truppen sich zum Glück einen anderen Gegner ausgesucht hätten.
Dann sagt er etwas, das ich ebenfalls noch nie im Rahmen einer Wettervorhersage gehört habe: » Un bacio di buona notte a tutti e buona serata.« Einen Gutenachtkuss an alle und einen schönen Abend wünscht der Maresciallo. Wie nett von ihm, auch wenn ich auf seinen Gutenachtkuss im Ernstfall eher verzichten würde.
Che sfortuna! Noch mehr Katastrophen
Ich wälze mich nach links. Ich wälze mich nach rechts.
Wieder nach links und dann wieder nach rechts.
Aber schlafen kann ich nicht.
Es ist schon mitten in der Nacht, und ich führe noch immer einen Kampf gegen mein Bett. Wie können die Italiener bloß so schlafen?
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