Madonna, ein Blonder!
Kunden. So kenne ich das aus München. Hier droht wohl eher ein supertrendiger Schnitt als eine Beinaheglatze.
Da ich keinen Termin habe, soll ich warten. Erst ein aufforderndes und keinen Widerspruch duldendes » Prego!« reißt mich aus der spannenden Lektüre der Zeitschrift Novella 2000, in der es ohne Berührungsängste im bunten Mix um Brüste, Prominente und den heiligen Padre Pio geht. Die Zeitschrift scheint so etwas wie die Mutter aller Klatschblätter zu sein.
» Ich bin Jäck«, sagt der Friseur, wir geben uns die Hand.
Jäck, der, wie er sagt, eigentlich » Giacomo« heißt, ist etwa Mitte 20, trägt ein schwarzes Muskelshirt, etliche goldene Anhänger um den Hals und die alte Miniirokesenfrisur von Bastian Schweinsteiger. Er sieht aus, als sei er gerade von der Isola dei Famosi geflohen.
Wir schauen uns im Spiegel an. Jäck zieht an einer Locke: » Madonna, sehr spezielle Haare.«
» Eeeh«, sage ich, um irgendetwas zu sagen.
Ich werde zunehmend nervös. Ich weiß schon, warum ich früher lieber zum Zahnarzt als zum Friseur gegangen bin: Beim Zahnarzt hat man vielleicht einen Moment lang Angst, weiß aber, dass es danach besser ist. Beim Friseur dagegen kann es genau umgekehrt sein– dass es nämlich am Ende schlimmer aussieht als zuvor. Und dann muss man mit dem Ergebnis auch noch wochenlang herumlaufen .
» Nur ganz wenig schneiden«, sage ich deshalb, » poco!«
Jäcknickt und sagt: » All’attacco!«, zum Angriff. Er greift zur Schere. Jäck ist bester Laune, und ich kann mir vorstellen, wie er sich fühlt. Ungefähr so wie ich, als ich einmal einen Elefanten füttern durfte: Neugierig auf diese völlig unbekannte, neue Erfahrung.
Schon nach einer Minute liegen Hunderte Gramm Haare auf dem Boden. » Aber nur wenig schneiden«, wiederhole ich eindringlich. » Poco!«
Mein Friseur schneidet fröhlich weiter.
Rundherum sitzen gut gelaunte, plappernde Kunden, doch meine Laune wird immer schlechter. Ich starre Jäck aus zusammengekniffenen Augen schweigend an. Da hätte ich auch gleich zum Kiwi-Haarschnitt-Experten Toni im Salon nebenan gehen können.
Als Jäck schließlich sagt, er sei fertig, sehe ich aus, als wollte ich mich für die nächsten Jahrzehnte bei den Carabinieri verpflichten. Mühsam ringe ich mich zu einem » Grazie , Jäck« durch. Gut, die Lektion habe ich gelernt: römische Friseuere können nur Kiwi.
Als ich nach Hause komme, fällt Signora Lovello fast in Ohnmacht, als wir uns im Hausflur begegnen. Sie schlägt die Hände vors Gesicht und starrt auf meinen abrasierten Kopf: » Der Engel ist auf die Erde gestürzt!«, zetert sie. Die bildhafte Sprache der Römer ist wirklich erstaunlich.
Sie schüttelt den Kopf und geht in ihre Wohnung, Bacione springt sie an für ein bacietto. Als sich die Wohnungstür hinter ihr schließt, höre ich, wie sie ihrem Mann aufgeregt berichtet, was mit dem ragazzo, dem biondino, dem » Philadelphia light« von nebenan geschehen ist.
Viel Zeit, über meine neue Frisur zu grübeln, habe ich nicht, der Tag lässt mir keine Atempause. Wie verabredet kommt mein Vermieter Luca um 4 Uhr nachmittags, um die alte Couch zu holen. Die neue soll nämlich in den nächsten Tagen geliefert werden. Ich habe mir den Nachmittag freigehalten, um ihm zu helfen, das Möbel auf die Müllkippe zu bringen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass dieses blöde Sofa sein Ende auf der Müllkippe findet.
Doch es kommt anders: Denn als ich die Tür aufmache, ist Luca nicht alleine. » Das ist Remo«, sagt mein Vermieter, und von rechts schiebt sich ein schmächtiger Mittdreißiger ins Bild, dessen tiefschwarze Haare so gegelt sind, dass sie seine Körpergröße um gut zehn Zentimeter steigern.
» Remo ist mein Schwiegersohn«, erklärt Luca, und Remo nickt.
Wir gehen in die Wohnung.
» Schau, das ist sie.« Luca spricht Remo an und zeigt auf die Couch. Wenn man dieses Teil sieht, fragt man sich unwillkürlich, wie Italien je berühmt werden konnte für exklusives Möbeldesign.
Als wir das Sofa zu dritt in den kleinen Lieferwagen geschoben haben, mit dem Remo ganz selbstbewusst in zweiter Reihe in meiner sehr schmalen Straße parkt, sagt Luca: » Du musst jetzt los, Remo. Beeil dich und grüß Sabrina!«
Remo nickt.
» Wo musst du denn noch hin?«, frage ich. Irgendwie kommt mir das Ganze komisch vor. So weit kann doch die nächste Müllkippe nicht sein.
» Nach Kalabrien.« Remo seufzt.
Luca überhört das und strahlt: » Sabrina wird begeistert sein über die
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