Maechtig, mutig und genial
für Marina Silva so erfolgreiche Jahr endete mit einer Schreckensnachricht: Am 22. Dezember 1988 wurde ihr Freund und Mitstreiter Chico Mendes von einem Großgrundbesitzer erschossen.
Im Folgejahr fanden erstmals nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 freie und geheime Präsidentschaftswahlen statt, bei denen auch der PT-Gründer Luiz Inácio Lula da Silva kandidierte, wenn auch noch vergeblich. Erst bei den Wahlen 2002 und 2006 trug er den Sieg davon. Marina Silva kandidierte 1990 für das Parlament des Bundesstaates Acre und machte ihren Wahlkampf zu einem Feldzug gegen Korruption und soziale Ungleichheit. Sie gewann auch diese Wahl und saß bis Ende 1994 im Abgeordnetenhaus ihres Bundesstaates. Sie war inzwischen eine populäre Politikerin. Die einfachen Leute honorierten es, dass sie, obwohl inzwischen Akademikerin, ihre Herkunft nicht vergessen hatte.
Im Jahr darauf wurde sie erneut schwer krank. Sie fühlte sich schwach und hatte Schmerzen, doch die Ärzte entdeckten zunächst nichts. Erst ein Haartest in den USA brachte ans Licht, dass sie, wie viele Menschen in der Region, an einer Quecksilbervergiftung litt. Das Quecksilber wird in Amazonien zum Goldwaschen benutzt, und die Goldgräber leiten es unkontrolliert in die Flüsse. Es verseucht Fische und Feldfrüchte. Da Marina erneut schwanger war, konnte die Entgiftung erst nach der Geburt ihrer Tochter Mitte 1992 beginnen. Zwar musste sie immer wieder pausieren und zeitweise stütztesie sich beim Gehen auf einen Stock, doch sie setzte, so weit es ihr möglich war, hohlwangig und mit tiefen Augenringen ihre politische Arbeit fort. In Folge der Quecksilbervergiftung isst Marina bis heute eine strikte Diät, nimmt weder Fleischnoch Milchprodukte oder Kaffee zu sich. Auch eine Hausstauballergie plagt sie seitdem. Ihre Krankheit bestärkte sie noch mehr in ihrem christlichen Glauben.
1994 war ihre Gesundheit immer noch nicht gänzlich wieder hergestellt, dennoch kandidierte sie für den Bundesstaat Acre für den Senat und bereiste den gesamten Bundesstaat, manchmal zu Pferd oder zu Fuß. Mit ihrer Ehrlichkeit, ihrer Intelligenz und ihrer Entschlossenheit gewann sie sogar den Respekt ihrer Gegner, schreibt Biographin Hildebrandt. Ein Geschäftsmann bezeichnete sie damals als »Tornado«. Sie erhielt mehr Stimmen als jeder andere Senator in Brasilien und zog mit nur vier weiteren Frauen als jüngstes Mitglied der brasilianischen Geschichte in den Senat ein. Sie wurde als Senatorin wiedergewählt und legte in dieser Zeit rund 100 Gesetzesvorhaben vor. 2010 stellte sie sich nicht mehr zur Wahl, da sie für das Präsidentenamt kandidierte.
Im Senat bekämpfte sie zunächst vor allem die Agrarpolitik der Regierung, die für das Amazonasgebiet weitere Rodungen vorsah. Sie setzte sich vor allem dafür ein, nur noch brachliegendes Farmland für Plantagen zu nutzen und um des Erhalts des Bodens willen schnell wachsende mit langsam wachsenden Kulturen zu mischen. Auch die Erziehung blieb ihr Thema, denn nach wie vor waren 40 Prozent der Bürger Amazoniens Analphabeten.
Sie übernahm 1995 zudem für zwei Jahre den Posten der Umwelt- und Entwicklungsbeauftragten ihrer Partei. Die brasilianische Wochenzeitung
Veja
setzte sie auf die Liste der sechs einflussreichsten Politiker des Landes, die feministische US-Zeitschrift
Ms. Magazine
kürte sie 1997 zur Frau des Jahres, und sie erhielt mehrere Umweltpreise; in den Folgejahren sollten noch viele Preise und Auszeichnungen dazukommen.
Im gleichen Jahr wandte sie sich, einer Eingebung folgend, vom Katholizismus ab und trat der
Assambleia de Deus
bei, der größten Pfingstkirche Brasiliens, der sie bis heute angehört.
Am 1. Januar 2003 holte sie Präsident Lula da Silva als Umweltministerin in sein Kabinett. Ihre Amtszeit war von Konflikten mit anderen Ministern geprägt, denen sie vorwarf, die ökonomischen Interessen vor die ökologischen zu stellen. Ihre erste große Niederlage erlebte sie, als die Regierung Lula genverändertes Saatgut zuließ. Damals weinte sie vor Enttäuschung und erwog erstmals ihren Rücktritt. Besonders ausgeprägt war ihre Auseinandersetzung mit der heutigen Präsidentin. Dilma Rousseff ( S. 131 ), zunächst Bergbau- und Energieministerin und später Präsidialamtsministerin, warf ihr vor, die Zustimmung zu Infrastrukturprojekten zu verzögern. Rousseff begriff Umweltauflagen lediglich als Wachstumshindernis. Marina konterte, sie werde um des Verbleibs im Amt willen nicht die Umweltprüfungen
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