Maechtig, mutig und genial
eigentlich war die Situation unerhört: Portugal und sein Imperium, das zu diesem Zeitpunkt auch noch Besitzungen in Afrika und Asien umfasste, wurden von der ehemaligen Kolonie aus regiert. 1815 war Brasilien in den Rang eines eigenen Königreiches erhoben worden, und der Regierungssitz des »Vereinigten Königreiches von Portugal, Brasilien und Algarve« blieb Rio de Janeiro. Leopoldine ließ sich jedoch weder von den Nachrichten eines Aufstandes noch von den Gefahren der Seereise einschüchtern und brach im August schließlich nach Brasilien auf, wo sie rund drei Monate später Anfang November eintraf. Sie wurde unter den üblichen Ehrbezeugungen wie Kanonensalven und Feuerwerk in einer Karosse in die mit Blumen geschmückte Stadt gefahren, wo die Hochzeitszeremonie noch einmal wiederholt wurde. Zwei Tage Feierlichkeiten für den Hof und das Volk schlossen sich an. Kurze Zeit später stand ihr Namenstag an, und im darauffolgenden Januar feierte Leopoldine ihren 21. Geburtstag in Rio de Janeiro. Sie hatte sich zu diesem Zeitpunkt wohl bereits an das für sie befremdliche, altertümlich und steif anmutende portugiesische Hofzeremoniell gewöhnt. Mittelalterliche Gepflogenheiten gingen einher mit ostentativem Luxus und der Allgegenwart von Bediensteten und Sklaven, die sie selbst im Schlafzimmer kaum aus den Augen ließen. Hieran gewöhnte sie sich nie, ebenso wenig wie an das heiße Klima und die lockeren Sitten selbst der Höflingeund Priester. Von Flora und Fauna allerdings war sie begeistert. Auch die Beziehung zu ihrem neuen Gemahl entwickelte sich zunächst ganz gut. Zwar war er über ihr allzu »germanisches« Aussehen und ihre große »Habsburgerlippe« nicht recht erfreut gewesen, dafür lernte er aber ihre Bildung, ihre Intelligenz und ihre europäische Kultur schätzen. Die beiden unternahmen tägliche Ausritte in die Floresta de Tijuca oder zum botanischen Garten und verbrachten viel Zeit beim gemeinsamen Musizieren. Leopoldine botanisierte darüber hinaus gern, sammelte Steine und malte Aquarelle. Sie setzte sich für den Erhalt der natürlichen Landschaft in der Umgebung der Stadt ein, die durch die königlichen Parks und den allmählichen Ausbau der Kaffeeplantagen zu verschwinden drohten, und war an der Einladung der berühmten Naturforscher Johan Baptist von Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius, die von 1817 bis 1820 die Amazonasregion erforschen sollten, beteiligt. Diese und andere Forscher sollten erstmals eine umfassende Katalogisierung und Klassifizierung der brasilianischen Flora, Fauna und der Mineralien Brasiliens vornehmen. Ferner schuf Leopoldine durch Umbauten im
Casa dos Pássaros
, dem »Haus der Vögel«, die Grundlage für das spätere Nationalmuseum.
Den Brasilianern ist Leopoldine aber nicht so sehr wegen ihrer Verdienste um die naturkundliche Erforschung ihres Landes bis heute in Erinnerung, sondern vor allem wegen ihrer Beteiligung an der Unabhängigkeit. Sie hatte sich seit ihrer Ankunft immer wieder an den politischen Beratungen beteiligt, hielt sich aber von allen Palastintrigen fern und verstand sich mit ihrem Schwiegervater, Dom João, recht gut. Dieser hatte die Revolte im Norden Brasiliens inzwischen besiegt, die Grenzen Brasiliens bis zum Río de la Plata ausgedehnt, und auch ein Aufstand in Portugal, wo seine Mutter Maria formell bis zu ihrem Tod 1816 regiert hatte, war beigelegt worden. Auf diese Erfolge folgte 1818 endlich die feierliche Thronerhebung König Joãos VI. in Rio de Janeiro. Erstmals wurde ein europäischer König in Amerika gekrönt, ein Akt, den die Portugiesenallerdings nicht so einfach hinnehmen wollten. Der Druck auf die Königsfamilie, nach Portugal zurückzukehren, wuchs stetig. Als dann 1820 in Lissabon eine liberale Revolution ausbrach, die die königliche Herrschaft ernsthaft zu gefährden drohte, entschloss sich João nach Portugal zurückzukehren. Angeblich war es Leopoldine, die sich vehement dafür eingesetzt hatte, dass Dom Pedro mit den Befugnissen eines Regenten in Brasilien zurückblieb. Sie gilt vielen Historikern als eine treibende Kraft der brasilianischen Unabhängigkeit, für die sie sich aber wohl vor allem deshalb so engagierte, weil sie erkannt hatte, dass nur so die Monarchie und die territoriale Integrität erhalten werden konnten.
Das portugiesische Parlament in Lissabon versuchte mit allen Mitteln, Brasilien wieder in den Stand einer Kolonie zurückzuführen, was dort naturgemäß strikt abgelehnt wurde. Der Konflikt
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