Maechtig, mutig und genial
lernte er Elisa Lynch kennen und wurde von ihrer Schönheit, ihrem Charme und ihrer offenbar soliden Bildung in den Bann gezogen. Trotz weiterer Reisen des Präsidentensohnes in Europa entwickelte sich rasch eine intensive Beziehung zwischen beiden, und als im November 1854 die Abreise nach Südamerika anstand, war Elisa Lynch hochschwanger. Das Paar beschloss, gemeinsam nach Paraguay zurückzukehren. Elisa erwirkte von ihrem ehemaligen Gatten ein Schreiben, das ihr wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit bescheinigte. Eine Annullierung der Ehe im rechtlichen Sinne, die eine Wiederheirat ermöglicht hätte, stellte dieses Schreiben allerdings nicht dar.
Über die Motive Elisas, nach Paraguay zu gehen, lässt sich nur spekulieren. Wollen die einen nichts als reine Liebe sehen, so träumte sie anderen zufolge von einer glanzvollen Zukunft als einflussreiche Mätresse eines exotischen, reichen Staatsoberhauptes – eine Hoffnung, die angesichts des Auftretens von Francisco Solano López in Europa und der damaligen Lage in Paraguay nicht völlig aus der Luft gegriffen schien. Diese Biographen oder Historiker stellen sie später gern als diejenige dar, die durch ihren Ehrgeiz und ihre Ruhmsucht López zu dem verheerenden kriegerischen Abenteuer gegen die Tripel-Allianz getrieben hatte. Doch zunächst einmal war davon noch keine Rede, als die paraguayische Delegation, Elisa Lynch sowie eine Gruppe von spanischen, britischen und französischen Fachleuten, auf einem in Großbritannien gekauften Kriegsschiff nach Paraguay zurückkehrte. Elisa ging bereits in Buenos Airesvon Bord, um dort die unmittelbar bevorstehende Geburt ihres ersten Kindes abzuwarten.
Die Ankunft Elisas in Asunción sowie die anderer Ausländer, die zum Teil mit ihren Frauen kamen, veränderte in den folgenden Jahren das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Klima nachhaltig. Paraguay hatte sich seit langem durch eine relative soziale Homogenität auf der Basis allgemeiner Armut ausgezeichnet, die durch die Isolation verstärkt worden war. Bis zur Ankunft der ausländischen Frauen war europäische Mode in Asunción weitgehend unbekannt oder hatte zumindest keine Rolle als soziales Unterscheidungsmerkmal gespielt. Frauen aller Schichten trugen lockere
tipoys
, die dem Klima besser angepasst waren als Krinolinen und Korsetts, gingen im Haus barfuß und rauchten selbst in Gesellschaft Zigarren. Viele von ihnen sprachen kaum Spanisch, sondern nur die indianische Umgangssprache Guaraní, und nur wenige konnten korrekt lesen und schreiben. Es gab weder ein Theater noch Salons oder andere Einrichtungen, in denen sich die »bessere« Gesellschaft treffen konnte. In den unteren Schichten waren nichteheliche Lebensgemeinschaften und uneheliche Geburten allgemein verbreitet, und ausländische Beobachter waren immer wieder erstaunt über die Freizügigkeit paraguayischer Frauen sowie über die Ungezwungenheit, mit der über Sexualität gesprochen wurde. Carlos Antonio López und seine Frau, die aus einer der alteingesessenen Familien stammte, bemühten sich, wieder stärker katholisch-bürgerliche Moralvorstellung zur Geltung zu bringen. Daher waren sie auch alles andere als erfreut, als ihr Sohn aus Europa eine schöne und gebildete, aber schon verheiratete Frau mitbrachte. Zwar hatte der Sohn des Präsidenten bereits mehrere Geliebte in Paraguay gehabt, und seine unehelichen Kinder waren allgemein bekannt und von ihm inoffiziell anerkannt, ohne dass dies als skandalös empfunden worden wäre, doch die Ankunft dieser eleganten Europäerin, die sich ihrer Ausstrahlung durchaus bewusst war und die erwartete, ihrem Rang und dem ihres Geliebtenentsprechend behandelt zu werden, provozierte das Präsidentenpaar und die Oberschicht. Präsident López und seine Gattin zogen es vor, die Anwesenheit der Geliebten ihres Sohnes einfach zu ignorieren, und auch die übrigen Frauen der tonangebenden Familien gingen ostentativ auf Distanz zu ihr. Um nicht isoliert zu bleiben, verlegte sich Elisa Lynch darauf, in ihrem Hause eine Art Salon zu eröffnen, zu dem vor allem die Ausländer gern kamen, die ohne ihre Familien in Paraguay lebten oder das Land kurzfristig zu geschäftlichen Zwecken besuchten und sich ansonsten in Asunción langweilten.
Allmählich veränderte sich das gesellschaftliche Leben. Asunción erhielt einen Präsidentenpalast, ein Theater und einen
Club Nacional
, wo sich Paraguayer der oberen Schichten und Ausländer treffen konnten. Die
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