Maechtig, mutig und genial
spitzte sich derart zu, dass Brasilien schließlich den Schritt nach vorn wagen musste, und an diesem war Leopoldine führend beteiligt. Im August 1822 war Pedro von Rio nach São Paulo gereist und hatte die Regentschaft für die Zeit seiner Abwesenheit in Leopoldines Hände gelegt. Auf einer Sitzung des Staatsrates am 2. September 1822 beschlossen die dort versammelten Minister unter Führung von Leopoldine einstimmig, sich von Portugal zu trennen. Die entsprechenden Schreiben erreichten Pedro an den Ufern des Flusses Ipiranga in der Nähe von São Paulo am 7. September. Er soll sich daraufhin die portugiesischen Abzeichen von der Uniform gerissen und mit gezücktem Schwert die Unabhängigkeit von Portugal ausgerufen haben, was als
Grito de Ipiranga
(dt.: Schrei von Ipiranga) in die Annalen eingegangen ist. Zurück in Rio, wurde Dom Pedro am 1. Dezember zum Kaiser von Brasilien gekrönt, und Leopoldine avancierte auf diese Weise zur ersten Kaiserin von Brasilien.
Die Reise Dom Pedros nach São Paulo war für Leopoldine allerdings auch in anderer Hinsicht schicksalhaft geworden. Zwar bestand zwischen den beiden unterschiedlichen Charakterenein gewisses Einvernehmen, und Leopoldine gebar zwischen 1819 und 1825 fast im Jahresrhythmus ein Kind, doch hatte Pedro deswegen nicht auf seine sexuellen Eskapaden verzichtet. Leopoldine fühlte sich zunehmend einsamer, zumal auch ihre österreichischen Begleiter nach und nach alle wieder in die Heimat gereist waren. In ihren Briefen an ihre Schwestern macht sich zunehmend eine Melancholie, um nicht zu sagen, Depression, bemerkbar. Hierzu mag auch der frühe Tod dreier Kinder beigetragen haben. María da Glória war 1819 geboren worden, sie sollte später als Maria II. den portugiesischen Thron besteigen, ihr folgten 1820 Miguel, der bei der Geburt starb, und 1821 João Carlos, der wie die 1823 geborene Paula Mariana ebenfalls im Kindesalter starb. Die 1822 geborene Januária Maria überlebte aber ebenso wie Francisca Carolina (1824) und der spätere Thronerbe Pedro (1825).
Eheliche Treue war, wie gesagt, nicht die Sache des frischgebackenen Kaisers, auch wenn dieser seine Frau weiterhin verehrte und mit ihr Kinder zeugte. Doch nahm seine Untreue ab 1823 für Leopoldine unerträgliche Züge an. In São Paulo hatte er Domitila de Castro Canto e Melo kennengelernt, die er unverzüglich als seine Geliebte an den Hof in Rio holte, sie zur Gräfin und später zur Marquise erhob und, als wenn dies noch nicht genug wäre, zur Ersten Hofdame der Kaiserin. Die Tochter der beiden wuchs gemeinsam mit den Kindern von Leopoldine und Pedro auf, und Domitila mischte sich immer stärker in die Angelegenheiten des Hofes ein, was Leopoldine weiter erbitterte. Ihre Briefe nach Hause verwandelten sich immer mehr in Hilferufe oder depressive Lamentos. 1826, sie war erneut schwanger, brach Pedro zu einer weiteren Reise in den unruhigen Süden des Landes auf und übertrug ihr erneut die Regentschaft, doch konnte sie diese kaum noch ausüben. Am 2. Dezember erlitt sie eine Fehlgeburt. Eine darauffolgende Sepsis zog sich noch über zwei Wochen hin, dann starb Leopoldine am 11. Dezember 1826 im Palast Boa Vista bei Rio de Janeiro. Gerüchten zufolge war die Fehlgeburt durch einenTritt in den Bauch ausgelöst worden, den ihr Gatte ihr versetzt hatte, nachdem sie sich geweigert hatte, einen Salon zu betreten, in dem seine Mätresse anwesend war, doch lässt sich dies nicht eindeutig belegen. Wenige Tage vor ihrem Tod hatte sie an ihre Schwester Folgendes geschrieben: »Seit fast vier Jahren bin ich, wie ich Dir, meine geliebte Schwester, geschrieben habe, wegen eines verführerischen Ungeheuers in den Zustand größter Versklavung versetzt und vollkommen von meinem geliebten Pedro vergessen.«
Zunächst wurde Kaiserin Leopoldine unter großer Anteilnahme der
Cariocas
aller Schichten in einem Kloster beigesetzt, während das Haus der Marquise von Santos von der Polizei vor Racheakten geschützt werden musste. Seit 1954 ruhen ihre Gebeine in der Krypta des nationalen Unabhängigkeitsdenkmals in Ipiranga im Bundesstaat São Paulo. Leopoldina, wie sie in Brasilien heißt, lebt in ihrer zweiten Heimat durch unzählige Plätze und Straßennamen sowie mehrere Gemeinden, aber auch durch eine große Sambaschule in Rio mit Namen »Imperatriz Leopoldinense« weiter.
Ausgewählte Literatur:
Carlos H. Oberacker:
Leopoldine. Habsburgs Kaiserin von Brasilien
, überarbeitete Neuauflage. Wien 1988. Das umfangreiche
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