Maechtig, mutig und genial
auch ein Lehrer, Herr Eckhardt, trug viel dazu bei, dass sie die Welt verändern wollte. Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit wurden ihre großen gesellschaftlichen Ziele. Die Tatsache, dass ihre Eltern in Kolumbien auf Großzügigkeit, Respekt und Anerkennung gestoßen waren, hat Vera zudem für sich immer als eine Verpflichtung gegenüber dem Land verstanden.
Nach dem Abitur nahm sie 1970 ein Anthropologiestudium an der
Universidad Nacional de Colombia
(dt.: Nationaluniversitätvon Kolumbien) auf, wo jedoch vor allem politisch agitiert und wenig studiert wurde.
Auf Wunsch des Vaters geht sie deshalb zum weiteren Studium zu Mutter und Schwester nach Hamburg, doch sie wird nicht heimisch dort. Der Aufenthalt in Deutschland, so schreibt sie in ihren Memoiren, »diente mir dazu zu erkennen, dass trotz meiner Abstammung und meiner Erziehung Deutschland nicht mein Land war«. Sie kehrt zurück nach Bogotá, zunächst an die
Universidad Nacional
, wechselt aber 1972 auf die angesehenste Universität des Landes, die private
Universidad de los Andes
(dt.: Universität der Anden). In ihrer Freizeit alphabetisiert sie im Armenviertel Prado Veraniego nach den Lehren des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire, der Alphabetisierung mit Bewusstseinsbildung verknüpfte und als einen Beitrag zur Demokratisierung verstand.
Bei den Wahlen vom 19. April 1970 wurde die
Alianza Nacional Popular
(Anapo, dt.: Nationale Volksallianz) des fortschrittlichen Generals Rojas Pinilla aller Wahrscheinlichkeit nach von Liberaler und Konservativer Partei um den Wahlsieg betrogen, und Vera zieht, wie viele junge Leute, daraus den Schluss, dass das System nur mit Waffengewalt verändert werden kann. Sie und ihre Freunde diskutieren darüber und treffen sich mit anderen Gruppen, die entweder der Anapo angehören oder aber bereits Erfahrungen mit einer der anderen Guerillagruppen im Land gesammelt haben und davon enttäuscht sind. Gemeinsam gründet man die M-19.
Die Bewegung unterschied sich von den bereits existierenden Guerillabewegungen, weil sie undogmatisch war, Diskussionen zuließ und die Mitglieder freundschaftlich miteinander umgingen, erinnert sich Vera. Kritiker von Links warfen ihnen vor, sie seien eine Gruppe von sozialdemokratischen Bürgerkindern. Als Ziele definierte man damals den Kampf gegen die herrschende Oligarchie, die nationale Befreiung und den Erhalt der nationalen Werte, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, die Unterstützung des sozialistischen Blocks, dieEinheit aller Guerillagruppen sowie die Bekämpfung von Sektierertum und Dogmatismus.
Die Gruppe trat am 17. Januar 1974 erstmals öffentlich in Erscheinung, mit einem symbolischen Akt: Sie stahl das Schwert, mit dem Simón Bolívar für die Befreiung von Spanien gekämpft hatte, aus dem Museum, und erst, wenn Kolumbien ein freies Land wäre, wollte sie es zurückgeben. Das M-19-Kommando hinterließ ein Manifest mit dem Titel »Bolívar, dein Schwert zieht wieder in den Kampf«. Vera Grabe hatte die Spionagearbeit zur Vorbereitung des Diebstahls geleistet, zwei Monate lang hatte sie täglich das Bolívar-Haus und das Schwert umrundet. Erst 1991 gab die M-19 die Waffe zurück, als nach ihrem Friedensschluss mit der Regierung eine Verfassunggebende Versammlung einberufen wurde, die Kolumbien mehr Demokratie bringen sollte.
1974 nehmen die Aktivitäten der M-19 immer mehr zu. Vera bekommt ihren ersten Decknamen, in der Organisation heißt sie nun Cristina. Sie lernt schießen und Karate und ist auch weiterhin für die Spionage zuständig. Mitte des Jahres nimmt sie an der ersten Operation teil. Diesmal stiehlt die M-19 medizinisches Material aus einem Depot an der Avenida Caracas, das sie dem Gesundheitsposten eines Armenviertels übergibt.
1975 lernt sie einen
compañero
namens Pablo García kennen, den alle nur Flaco nennen. Die beiden verlieben sich ineinander. Erst später erfährt Vera, dass es sich bei Pablo um Jaime Bateman, den Führer der M-19 handelt. Die beiden bleiben bis zu Batemans Tod zusammen: Er stürzt am 28. April 1983 auf dem Weg nach Panama mit einem Flugzeug ab. Einen Monat zuvor hatte Vera ein Kind von ihm abgetrieben, obwohl sie gern hätte Mutter werden wollen, doch Bateman hatte sie dazu gedrängt, weil Mutterschaft und bewaffneter Kampf, wie er ihr zu verstehen gab, nicht vereinbar seien. Erstmals fühlte Vera sich in der Organisation als Frau benachteiligt, weil ihre männlichen
compañeros
fast alle Familie hatten, dies aber
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