Maechtig, mutig und genial
den Frauen nicht zugestanden wurde.
1976 übernahm sie ein erstes eigenes Kommando. Heute lehnt sie zwar Entführungen ab, da sie auch bei guter Behandlung des Entführten immer inhuman bleiben, doch damals bereitete sie die Entführung des korrupten Gewerkschafters José Raquel Mercado vor, der vor ein »Volksgericht« gestellt werden sollte. Sie sammelte Material über seine politischen Verfehlungen. Mercado wurde gekidnappt, aber die Regierung war nicht bereit, auf die Forderungen der M-19 einzugehen: Sie verlangte die Wiedereinstellung von nach einem Streik entlassenen Arbeitern verschiedener Staatsfirmen. So wurde Mercado zum Tode verurteilt und ermordet. Der Tod des Gewerkschafters trug der M-19 unerwartet viel Sympathie ein und brachte ihr neuen Zulauf.
Vera wurde danach in die Regionalführung von Bogotá gewählt. In dem Gremium hatte sie erstmals das Gefühl, dass ihre männlichen
compas
sie nicht wahrnahmen, und sie gegen Wände sprach. Die Frauen waren
las niñas
, die Mädchen – man war nett und zuvorkommend zu ihnen, aber man nahm sie nicht immer ernst.
In der Folgezeit häuften sich die Aktionen: Die M-19 besetzte Fabriken, Gewerkschaftssitze, Schulen sowie Eltern-, Lehrerund Belegschaftsversammlungen. Einige
compas
mit Kapuzen über dem Kopf drangen in die Gebäude ein, verteilten Propagandamaterial und zogen wieder ab. Man begann, sich militärisch zu organisieren. Trotzdem studierte Vera weiter. Im März 1978 machte sie ihr Examen als Anthropologin. Bevor sie eine Forschungsarbeit über Volksreligiosität begann, nahm sie noch an einem Guerillatraining im Caquetá teil.
Das Jahr 1979 beginnt die M-19 mit einem spektakulären Schlag: In der Silvesternacht raubt ein Kommando 5700 Waffen aus einer Kaserne in Bogotá. Die Guerilla hatte ein Haus in der Nähe angemietet und einen 80 Meter langen Tunnel bis in das Waffendepot der Kaserne gegraben. Vera hat selbst nicht an der Aktion teilgenommen; sie wurde nach Panama geschickt, um dort Kontakt mit der kubanischen Regierung aufzunehmenund um Aufnahme des Ehepaars nachzusuchen, das das Haus angemietet hatte, von dem aus der Tunnel gegraben worden war.
Die Armee, in ihrer Ehre verletzt, beginnt nun eine Hetzjagd nicht nur auf die Mitglieder der M-19, sondern auf sämtliche Linken und Menschenrechtsaktivisten.
Vera hat inzwischen die Verantwortung für die Zeitung der M-19 übernommen, ist zuständig für die Kontakte zu Sympathisanten etwa im Verwaltungsapparat, und ihr obliegt die Fälschung von Personalausweisen und Führerscheinen, was damals noch einfach war und für die M-19 lebenswichtig. Und sie wurde gemeinsam mit Nelly Rivas in die nationale Führung gewählt. Immer wieder musste sie sich von Männern den Vorwurf gefallen lassen, sie säße nur aufgrund ihrer Beziehung zu Bateman dort, und es ärgerte sie, dass bei Frauen fast nie die Leistung gesehen, sondern regelmäßig vermutet wurde, sie gelangten über das Bett in Spitzenpositionen. Als die Männer in der Führung verhindern wollten, dass die Frauen an Kämpfen teilnahmen, weil sie nur Unordnung schafften, rebellierten die Frauen und setzten sich durch.
Am 26. Oktober 1979 wurde Vera Grabe wie viele ihrer Mitkämpfer festgenommen. Sie wurde zehn Tage lang gefoltert, weil sie ihre
compañeros
und das Versteck der aus der Kaserne geraubten Waffen verraten sollte. Man setzte sie Kälte aus, ließ sie nicht schlafen, gab ihr weder zu essen noch zu trinken und steckte ihr einen Stock in die Vagina. Doch sie blieb standhaft: »Eine große Wut hielt mich aufrecht. Leute, die mich foltern, verdienen nicht, dass ich mit ihnen auch nur ein Wort wechsle«, schreibt sie dazu in ihren Memoiren. Ein Jahr lang saß sie im Frauengefängnis von Bogotá, das den Namen
El Buen Pastor
(dt.: Der gute Hirte) trägt. Vor allem ihr Vater unterstützte sie während dieser Zeit, obwohl er selbst immer wieder von den Sicherheitskräften belästigt wurde; immer wieder wurde seine Werkstatt durchsucht, woraufhin auch die Kunden weniger wurden. Veras Mutter versuchte derweil, über diedeutsche Bundesregierung die Freilassung der Tochter zu erreichen.
Am 27. Februar 1980 besetzte ein Kommando der M-19 für zwei Monate die Botschaft der Dominikanischen Republik in Bogotá, um so die Freilassung ihrer Gefangenen durchzusetzen. Doch die Regierung trickste die Besetzer aus: Sie ließ sie zwar mit ihren Geiseln in einem kubanischen Flugzeug ausfliegen, setzte aber keinen einzigen Gefangenen auf freien Fuß. Trotzdem
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