Maechtig, mutig und genial
feiert die M-19 dies als Sieg, da die Welt nun wisse, dass es in Kolumbien politische Gefangene gibt.
Im November des gleichen Jahres wird Vera aus dem Gefängnis entlassen und geht zunächst nach Panama und dann nach Mexiko, wo sie drei Jahre lang für die internationalen Beziehungen der Gruppe zuständig ist. Sie ist ständig unterwegs, reist nach Havanna, Berlin, Prag, Tripoli, Paris, Madrid, Rom, Quito, Caracas, Managua oder San José. Ihre Aufgabe ist es, dort Kontakte zu knüpfen, Solidaritätsgruppen zu gründen, die Ideen der M-19 bekannt zu machen und zu »konspirieren«, sprich: Geld zu besorgen. Sie nennt sich nun Julia, und mit diesem Namen tritt sie auch als Sprecherin der Gruppe nach außen auf. Kuba war immer die Rückfallposition, erinnert sie sich in ihren Memoiren. Dort wurden kranke und verletzte
compañeros
behandelt, Kuba war mit Kontakten zu anderen Ländern behilflich, und nicht zuletzt wurden dort auch viele
compas
im Guerillakampf unterwiesen.
Nach ihrer Rückkehr werden sie und Nelly Rivas neben zehn Männern Mitglieder des militärischen Oberkommandos. Nachdem Rivas gefallen ist, bleibt Vera die einzige Frau im Oberkommando. Sie zieht nun Uniform und Gummistiefel an und geht als Comandante Catalina mit der Truppe in die Berge und nimmt an der Besetzung von Dörfern und Kleinstädten im Departement Antioquia teil. 1984 lernt sie dabei Rosemberg Pabón kennen, der als Comandante Uno den Überfall auf die Botschaft der Dominikanischen Republik geleitet hatte. Er heißt nun Juan. Die beiden werden ein Paar.
Am 6. November 1985, während Vera Grabe in Antioquia kämpft, besetzt ein Kommando der M-19 den Justizpalast im Herzen der Hauptstadt. Die Armee stürmt das Gebäude, ohne dies mit der Regierung abzustimmen und ohne Rücksicht auf die im Gebäude befindlichen Menschen. 89 Menschen sterben dabei und zehn sind bis heute verschwunden. Die M-19 – und mit ihr Vera Grabe – begründete den Überfall damit, sie hätte im Palast einen Prozess gegen die Regierung anstrengen wollen, die einen 1984 begonnenen Friedensprozess mit sämtlichen Guerillagruppen verraten habe. 2009 erklärt Grabe in einer Diskussion, das Ziel des Überfalls sei ein politisches gewesen: Die M-19 wollte eine Debatte über einen Friedensprozess anstoßen und hatte mit einer Verhandlungslösung gerechnet. Die Wahrheitskommission, die zur Aufklärung der Ereignisse einberufen worden ist, hat jedoch auch Hinweise, dass es Ziel des Angriffs war, sämtliche Unterlagen über das Drogenkartell von Medellín zu vernichten. Angeblich hat die M-19 dafür zwei Millionen Dollar von Drogenbaron Pablo Escobar für die Kriegskasse bekommen. An jenem 6. November wurde im Palast die Auslieferung von Drogenbossen an die USA verhandelt. Grabe erklärt dies für falsch.
Der Überfall auf den Justizpalast schwächt die M-19. Und auch das Massaker von Tacueyó bringt sämtliche Guerillagruppen in der Bevölkerung in Misskredit: Eine Abspaltung der
Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia
(FARC, dt.: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) ermordet 164 der eigenen Leute, weil sie angeblich Spione des US-Geheimdienstes CIA waren. Obendrein weht der Guerillabewegung der Wind ins Gesicht, da immer mehr rechte paramilitärische Gruppen entstehen, die den Aufständischen den Kampf angesagt haben.
In diesen schwierigen Zeiten wird Vera wieder schwanger und zieht sich damit den Zorn der männlichen Kampfgenossen zu, die argumentieren, im Feld sei kein Platz für Schwangere. Doch diesmal weigert sie sich abzutreiben. Sie bleibt zunächst bei der Truppe. Als sie dann schließlich nach Medellínaufbricht, hat die Armee den direkten Weg abgeriegelt, Vera muss weite Umwege gehen und leidet Hunger. Sie entbindet am 26. April 1986 in einer Privatklinik in Medellín, wo sie ein Bekannter als seine Frau untergebracht hat. Ihre Tochter Juana ist zu früh auf die Welt gekommen und wiegt nicht einmal ein Kilo.
Nach 40 Tagen gibt sie Juana in die Obhut von Bekannten, denn es ist zu gefährlich für das Kind, bei einer Mutter zu leben, die steckbrieflich gesucht wird. Vera vertritt nun die M-19 in der
Coordinadora Guerrillera Simón Bolívar
(CGBS, dt.: Guerillakoordination), einem losen Zusammenschluss aller Rebellentruppen, denn die Führung hat kein Verständnis dafür, dass sie in der Nähe ihrer Tochter sein will. Bei einem ihrer Treffen mit dem legendären FARC-Chef Manuel Marulanda fragt sie diesen, weshalb der FARC-Führung keine Frau angehöre. Er
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