Maechtig, mutig und genial
Angesichts der immer prekärer werdenden wirtschaftlichen Situation und eines daraus resultierenden neuen Austeritätsprogramms organisierte die bolivianische Dachgewerkschaft
Central Obrera Boliviana
(COB) wieder Straßenblockaden und Streiks, bei denen die Frauen vor allem in der Organisation und Versorgung eine zentrale Rolle spielten. Putschgerüchte machten bald die Runde. In dieser Situation wurde Domitila zur zweiten Weltfrauenkonferenz eingeladen, die dieses Mal in Kopenhagen stattfand, was sie in einen Gewissenskonflikt stürzte, ob sie fahren sollte oder bleiben. In ihren Erinnerungen schreibt sie, der Führer der Zentralgewerkschaft COB habe ihr erklärt, sie müsse fahren, um das Forum zu nutzen und von den Vorgängen in Bolivien zu berichten. Und tatsächlich erreichte Domitila, kaum war sie in Kopenhagen eingetroffen, im Juli 1980 die Nachricht von einem erneuten Militärputsch. Sie begann sofort, Proteste zu organisieren und Sanktionsmaßnahmen zu fordern. Domitila und einige andere in Kopenhagen anwesende Bolivianerinnen nutzten ihre Popularität in den folgenden Tagen zu zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen wie Pressekonferenzen, Demonstrationen und Solidaritätsveranstaltungen, so dass sie bald auch in andere Länder eingeladen wurden, um dort über die Zustände in ihrer Heimat zu berichten. Für die Frauenkonferenzblieb dabei keine Zeit mehr. Die nächsten Jahre verbrachte Domitila damit, aufgrund von Einladungen verschiedener Solidaritätskomitees Europa, Kanada und einige lateinamerikanische Länder, vor allem Nicaragua, zu bereisen. Sie traf dort auf Genossinnen auch aus anderen lateinamerikanischen Ländern, knüpfte weitere Netze der Solidarität und lernte andere (Arbeits-)Welten kennen. Sie nahm am Russell-Tribunal gegen Diskriminierung teil, wo sie sich vor allem für die Rechte der Indigenen einsetzte, und erhielt 1981 den Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte.
Die Bekanntheit und die Arbeit für die Solidaritätsgruppen forderte jedoch auch einen hohen persönlichen Preis. Kurz nach dem Putsch hatte ihre Schwester, bei der ihre Kinder lebten, sie aufgefordert, zurückzukehren, denn dies sei ihre Pflicht als Mutter und als Funktionärin, die ihre Familie und ihr Volk nicht im Stich lassen dürfe. Dies tat sie jedoch nicht, und ihre Kinder zogen nach Schweden, wo sie Asyl erhalten hatte. Während des Exils starb ihre Schwester, einige Zeit später ihr Vater, und offenbar zerbrach auch ihre Ehe, denn ihr Mann findet in ihren Erinnerungen keinerlei Erwähnung mehr.
1982 kehrte Bolivien zur Demokratie zurück, und Domitila konnte wieder in ihre Heimat. Sie zog zunächst zu einer anderen Schwester nach Cochabamba, und vor allem ihre jüngste Tochter hatte Schwierigkeiten, sich wieder an die Armut und das damit verbundene Leben zu gewöhnen. Domitila setzte ihre nationalen und internationalen Aktivitäten fort, nahm 1983 an einer Konferenz des Weltkirchenrates in Ecuador teil und reiste wieder nach Nicaragua, dessen Aufbruch nach dem Sieg der Sandinisten sie begeisterte. Gleichzeitig bereitete sie zusammen mit dem bolivianischen Journalisten David Aceby ein weiteres Buch vor, das ihre Erfahrungen nach der Weltfrauenkonferenz und im Exil schilderte, aber nicht an den Erfolg des ersten anknüpfen konnte.
Ab Mitte der 1980er Jahre wurde es nicht nur stiller um Domitila Barrios, sondern die Gewerkschaft der Minenarbeitergeriet auch durch den Zusammenbruch des staatlichen Minenbetriebes in eine große Krise. Zwar konnte sie 1985 noch einmal mit großen Protestdemonstrationen die Ablösung der Regierung und Neuwahlen erzwingen, doch wurden die Arbeiter anschließend unter der neuen Regierung von Víctor Paz Estenssoro (MNR) mit einer Wirtschaftspolitik konfrontiert, die die Privatisierung der Minen, das Einfrieren der Löhne, die Aufhebung des staatlichen Versorgungssystem und schließlich 1987 die Entlassung der Minenarbeiter, euphemistisch als »Relokalisierung« bezeichnet, zur Folge hatte. Auch der von den »Hausfrauen« 1986 organisierte große »Marsch für das Leben«
(Marcha por la Vida)
konnte die Maßnahmen nicht mehr stoppen. Die ehemaligen
mineros
und ihre Familien waren gezwungen, entweder in die Städte oder aber in die Tieflandregionen zu ziehen, wo sie sich mangels Alternativen als Straßenhändler oder Cocabauern betätigten.
Damit war der Zusammenhalt und die Macht der Gewerkschaft erst einmal gebrochen, bis sie sich in den 1990er Jahren in der Gewerkschaft der
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