Mädchen im Moor
stehenden Stuhles warf. Das ist kein Moorpflänzchen, so etwas wächst nicht auf schwammigem Grund … die kommt aus der Stadt, so wahr die Lotte Marchinski eine Nutte ist! Er grinste Monika wieder an, setzte sich auf die Eckbank und dehnte sich wohlig. Es war warm in der großen Stube, in einem dicken, runden Eisenofen prasselten Holzscheite und gepreßte Torfballen, das Ofenrohr flimmerte, als beginne es zu glühen … es war eine herrliche Geborgenheit im Vergleich zu dem verschneiten, nebeligen Moor, über das der Morgen kroch, als erfröre auch er und mit ihm die Sonne, die niemand sah.
Fiedje Heckroth ging schnell hinüber zu seiner Frau und in den Stall, um die Kühe auszumelken. Vorher aber stellte er noch mit einer einladenden Geste ein hohes Glas und eine Flasche Schnaps auf den Tisch vor Willi hin.
»Sie kennen die Gegend hier?« fragte Willi, als er mit Monika allein war. Er roch dabei an der Flasche, entdeckte, daß es reiner Korn war, und goß sich ein.
»Nein.« Monika hing eine der blankgeputzten Kupferkellen an den Nagel über den alten Kamin.
»Fremd hier?«
»Ja.«
»Aus der Stadt?«
»Was geht Sie das an?«
»Vielleicht allerhand. Ich komme nämlich auch aus der Stadt. Aus Berlin. Das heißt, dort bin ich geboren. Jetzt lebe ich in Hamburg, 'n Berliner in Hamburg … det is wie n Chinese bei 'n Kaffern … finden Sie nicht auch?«
»Ich würde Sie da eher für den Kaffer halten –«, sagte Monika grob. Pfeifen-Willi verdaute diese Bemerkung eine Sekunde lang, dann lachte er laut auf.
»Det is jut! Kind, du hast Schnauze! Du jefällst mir.«
»Das ist völlig einseitig, mein Herr.«
»Herr hat noch keener zu mir jesagt.« Willi kippte den Schnaps hinunter und hustete ein paarmal. Hell wie Wasser, aber scharf wie die rote Minna, dachte er. »Wie kommen Sie denn hierher?«
Er sagte wieder Sie, ein Beweis, daß Monika ihm imponierte.
»Mit der Bahn.«
»Und jerade in dieses Nest? Ins Moor?«
»Die einen lieben Heringe mit Erdbeeren, die anderen Kartoffeln mit Zimtsoße …«
Pfeifen-Willi war begeistert. Er klatschte in die Hände, schüttete sich einen neuen Korn ein und zog den Schlips etwas herunter, denn nun merkte er, wie heiß es war. Für jemanden, der auftaut, ist die Hitze doppelt groß, wenn er sie zu spüren beginnt.
»Ich suche jemanden«, sagte er. Plötzlich glaubte er, Mut zeigen zu müssen. Man kann sich vertun, dachte er. Aber dieses Mädchen weiß mehr, als es sagt. Verdammt, man hat so was in der Nase, das ist ein Naturgeruch wie bei den Hunden, die in den Wind schnuppern und sofort die Richtung zur heißen Hündin haben … »Ich glaube, Sie können mir helfen.«
»Nein.«
»Doch!« Willi beugte sich vor. »Hier in der Nähe muß doch Wildmoor liegen …«
Monika Busse umklammerte den großen kupfernen Schöpflöffel, den sie gerade putzte. Unter den vorgefallenen blonden Haaren sah sie Willi prüfend und kritisch an.
»Ja –«, antwortete sie gedehnt.
»Eine sogenannte ›offene Strafanstalt für Mädchen‹, nicht wahr?«
»Ja –«
»Und da suche ich jemanden.«
»Ein Mädchen.«
»Sie sind ein ausgesprochen kluges Kind.«
»Wen denn?«
Willi hielt den Atem an. »Kennen Sie denn welche aus der Anstalt?« fragte er. Er hörte, daß seine Stimme plötzlich belegt war.
»Einige –«
»Auch eine Hilde Marchinski …?«
»Dann sind Sie also der Willi …?«
»Da jubelt der Hund in der Pfanne!« Willi sprang auf. »Mädchen … woher kennst du mich …?« Er rannte auf Monika zu. Sie hob den langen Stiel des Schöpflöffels und streckte ihn ihm entgegen wie eine abwehrbereite Lanze. Willi blieb stehen, die Nerven in seinen Gliedmaßen begannen zu flimmern. Er hätte tanzen können, so elektrisch durchzuckte es ihn.
»Mensch, blonder Engel … kennst du Hilde? Was macht sie? Wie geht es ihr? Nun tu schon den albernen Stiel Weg!«
»Nein! Setzen Sie sich wieder hinter den Tisch –«
»Mädchen –«
»Setzen!«
Gehorsam ging Willi zum Tisch zurück, setzte sich und kippte das Glas Korn in den Mund. Dann starrte er Monika an, und in einem Anfall logischen Denkens erkannte er, daß dieses Mädchen dort etwas mit Wildmoor zu tun haben mußte, daß es vielleicht selbst aus der Anstalt kam, abgestellt zum Außendienst wegen guter Führung. So etwas gab es … Willi hatte es von einigen Knastbrüdern gehört, die dieses Ziel nie erreicht hatten, weil sie mit Kassibern oder Kalfaktorenbestechungen aufgefallen waren.
»Wie lange?« fragte er deshalb
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