Mädchen im Schnee
geschrieben:
»Wie schön, meine Liebe! Also geht es dir gut, da am Ende der Welt? Hier im Büro ist es öde ohne dich.«
Plötzlich verspürte Magdalena Sehnsucht nach Ann-Sofie. Die Wochen waren wie im Flug vergangen, und ein paar schnelle SMS waren der einzige Kontakt gewesen, den sie seit dem Umzug ausgetauscht hatten.
Rasch antwortete sie:
»Ja, wir haben es gut. Vermisse dich auch! Rufe demnächst mal an. Liebe Grüße.«
Dann schrieb sie eine neue Statuszeile:
»Magdalena Hansson denkt nach.«
Großmutter, ich habe dich im Stich gelassen. Verzeih mir. Ich habe dich so sehr im Stich gelassen.
Ich habe dir versprochen, auf Ana aufzupassen, aber jetzt habe ich den Wildfang, wie du sie immer genannt hast, verloren.
Es gibt so vieles, was ich dir gern erzählen möchte, wenn du noch zuhören magst. Magst du? Aber nicht einnicken, wie du es neben dem Radio machst, auch wenn da eine Sendung kommt, auf die du dich gefreut hast. Nein, ich weiß doch, dass du nicht einschläfst, wenn ich rede – ich mache doch nur Witze mit dir.
Die erste Zeit in diesem Café in Chişinâu war gut, auch wenn wir den ganzen Tag hart arbeiten mussten. Zu Anfang habe ich am liebsten gespült, doch nach einiger Zeit habe ich mich an die Gäste gewöhnt und war auch nicht mehr sonderlich nervös, wenn ich ihre Bestellungen aufnehmen sollte. Manchmal habe ich sogar etwas Trinkgeld bekommen.
Abends saßen wir meist in unserem Zimmer, das wir von der Frau gemietet hatten, der das Café gehörte, und träumten von der Zukunft. Manchmal haben wir auch Zeitungen mitgenommen, die die Leute liegen ließen. Aber rauszugehen trauten wir uns nicht, nicht einmal Ana.
Eines Tages kam ein hübscher Mann ins Café. Er trug einen Anzug und hatte eine schicke Frisur. Ana und ich fanden beide, dass er fast ein wenig wie ein Schauspieler aussah, und wir haben den ganzen Abend von ihm geredet.
Am nächsten Tag kam er wieder. Ich sollte seine Bestellung aufnehmen. Ich war ziemlich nervös und machte viele Fehler, aber er hat mir trotzdem Trinkgeld gegeben. Sehr viel Trinkgeld. Ana und ich warteten daraufhin mehrere Tage auf ihn, aber es dauerte eine Woche, ehe er wieder auftauchte. Ich war ebenso nervös wie zuvor, habe es aber wenigstens hingekriegt, alles richtig zu machen.
»Du hast ein Talent für die Arbeit hier«, sagte er.
Ich war so perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
»Ich habe einen Freund, der hat ein Hotel in Deutschland. Ich weiß, dass er für das Restaurant dort Leute braucht. Wärest du interessiert? Es ist gut bezahlt.«
»Ich weiß nicht. Meine Cousine und ich arbeiten zusammen hier«, antwortete ich.
»Für sie gibt es bestimmt auch Platz«, sagte der »Schauspieler«. Oder Leonardo, wie Ana und ich ihn getauft hatten.
Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, fuhr er fort:
»Ihr könnt ja mal darüber nachdenken. Schaut mal hier herein, und dann könnt ihr euch einen Eindruck verschaffen.« Dann gab er mir ein kleines Heft mit vielen Farbfotos von dem Hotel.
»Ich werde in ein paar Tagen wieder hier sein.«
13
Barbro Holmgren sah von der Länstidningen auf, als Magdalena die Redaktion betrat.
»Na, was hast du denn für einen hübschen Lidschatten aufgelegt.«
»Danke, manchmal muss man sich eben etwas Mühe geben«, erwiderte Magdalena, setzte ihre Mütze ab und ging in ihr Büro.
Verdammt. Das mit dem Lidschatten war unnötig. Bestimmt sah man es ihr an.
Als sie die Jacke über die Rückenlehne gehängt hatte, holte sie ihr Mobiltelefon aus der Tasche und las die SMS noch einmal, sie wusste nicht zum wievielten Mal. »Ich denke viel an dich. Petter.«
Normalerweise hatte sie überhaupt keine Probleme, Antworten zu geben, sondern es fiel ihr leicht, kurze, freche Nachrichten zu tippen. Aber jetzt ging das nicht. Sie hatte die ganze Nacht nachgedacht.
Was glaubt er eigentlich, wer er ist?, dachte sie. Und was glaubt er, wer ich bin? Bildet er sich etwa ein, dass man einfach so wieder anfangen kann, als ob nichts geschehen wäre? Aber irgendetwas muss ich ja antworten.
Ihre Hände zitterten so sehr, dass Magdalena mehrmals von vorn anfangen musste, ehe die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge landeten. »So einfach ist das aber nicht. Magda.«
Und dann drückte sie schnell, bevor sie es sich anders überlegen konnte, auf »Senden«.
Danach schlug sie die Länstidningen auf.
Also wirklich, jetzt könnte er aber mal lockerlassen, dachte Magdalena, als sie den Artikel von Linus Saxberg sah.
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