Mädchen und der Leibarzt
gab? Dass der Körper ihrer Großmutter es in sich trug? Sie könnte noch leben …
KAPITEL 1
E s klopfte. Helena machte sich nicht die Mühe aufzustehen. Wenn es Friedemar war, dann würde er sich auch ungebeten Zutritt verschaffen. Ihr Verlobter hatte nicht die Angewohnheit zu bitten – ihm wurde gegeben.
»Gott zum Gruße, Helenchen.«
Sie drehte sich nicht um, sondern sah angestrengt auf ihre Schürze hinunter.
»Wohlan, hast du gedacht, noch vor mir ein Mittel gegen die Blattern gefunden zu haben, um damit den großen Reichtum einzuheimsen? Dabei habe ich dir schon immer gesagt, dass ein Weib nicht denken soll. Schau dir die Küche an! Haben hier neuerdings die Säue ihren Stall?«
»Warum bist du nur so widerlich geworden? Ich habe dir nichts getan! Lass mich in Ruhe!«
»Dich in Ruhe lassen? Liebst du mich nicht mehr?«
Helena starrte wütend in das Herdfeuer. »Was soll ich denn denken, wenn du mich seit unserer Verlobung so herablassend behandelst?«
»Helena, verzeih. Du weißt, dass ich dich liebe.«
»Daran habe ich geglaubt, aber nur bis wir einander versprochen wurden.« Sie beobachtete, wie die Flammen um den letzten Fetzen Papier kämpften. »Seit wir Kinder waren, habe ich dich gemocht. Vielleicht noch mehr, seit wir beide unsere Eltern an die Blattern verloren haben, aber vor
allem habe ich dich bewundert, weil dein Leben danach so anders verlief als meines … Oft habe ich dich heimlich beobachtet. Auf dem Feld, im Hof nebenan und bei den Patienten deines Ziehvaters. Wie du ihm schon früh zur Hand gehen konntest und er viel Freude an dir hatte, während ich mich damit zufriedengeben musste, im Haus meiner Großmutter zu wirtschaften.«
»Ja, natürlich«, höhnte Friedemar. »Bis heute darf ich die Drecksarbeit für ihn erledigen, dazu bin ich gut genug.«
»Trotzdem war ich neidisch, dass er dir als wohlhabender Medicus jeden Wunsch erfüllen konnte. Ich habe davon geträumt, dieses Leben eines Tages mit dir teilen zu dürfen. Dieser Versuchung wäre ich beinahe erlegen, wenn du nicht dein wahres Gesicht gezeigt hättest. Seit ich dir von dem Mittel gegen die Blattern erzählt habe, bist du wie ausgewechselt. «
»Wie kommst du darauf, mein Helenchen? Schließlich war ich es, der meinen Ziehvater dazu überredet hat, dich ein wenig in die Geheimnisse der Medizin einzuweihen. Und was ist mit dem Geld, das ich dir im Winter gegeben habe, damit du dich in anderen Dörfern nach diesen Geschichten umhören konntest? Also gib zu, dass dein Erfolg auch mein Verdienst ist.«
»Nein, das tue ich nicht. Und es gibt auch keinen Erfolg zu verzeichnen. Wir tragen kein Mittel gegen die Blattern in uns. Ich habe mich geirrt. Meine Großmutter ist tot, verstehst du?«
»Nun, irgendwann musste auch dieses alte Weib sterben.«
»Wie kannst du nur so herzlos sein! Friedemar, sie ist von den Blattern dahingerafft worden! Und das, obwohl sie nach meiner Theorie nie daran hätte erkranken dürfen. Offenbar
gibt es doch keinen Schutz vor der Seuche! Es ist allein Gottes Wille, der die Menschen krank macht oder sie gesund erhält.«
»Unsinn. Es muss einen anderen Zusammenhang geben … Du hast bestimmt irgendetwas übersehen. Wir müssen die Fälle noch einmal durchgehen und miteinander vergleichen. Und nächste Woche nach unserer Hochzeit wirst du in dein neues Reich ziehen. Sei doch froh, wenn du diese Hütte hier verlassen kannst! Deine Großmutter hat es in ihrem ganzen Leben zu nichts weiter gebracht als zu drei Schweinen, zwei Klappergäulen und ein paar Kühen, die ständig kränkeln anstatt Milch zu geben. Willst du denn enden wie dieses alte Weib? Bald bist du die Herrin in einem stattlichen Haus, kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
Helena schüttelte langsam den Kopf. Nein, das konnte sie nicht. Ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken an die Hochzeit, die sie in den letzten Tagen so gut verdrängt hatte.
»Vielleicht sollten wir …«, hob sie an, »die Hochzeit … verschieben? Ich meine, jetzt durch den Tod meiner Großmutter … Sie ist ja noch nicht einmal beerdigt.«
»Natürlich hast du keine Vorstellung von deinem zukünftigen Leben«, sprach Friedemar ohne Rücksicht auf ihren Einwand weiter. »Du wirst dich um die Hauswirtschaft und meine zukünftigen Erben kümmern, während ich meinen Pflichten nachkommen werde. Dazu gehört auch, dass ich ein Gegenmittel finden werde und niemand anderer, schon gar nicht du! Denn in meinem Haus herrschen andere Sitten!«
Zunächst
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