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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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ließ sich Helena von ihrer aufsteigenden Verzweiflung lähmen, doch dann gewann die schiere Fassungslosigkeit die Oberhand. Sie fuhr herum und funkelte ihren
Zukünftigen an, dessen Gestalt sich durch seinen dunkelgrünen Umhang kaum von der rußgeschwärzten Wand abhob. Sein kantiges Gesicht war zur Hälfte unter einem Dreispitz verborgen, der einen gespenstischen Schatten über seine Augen legte. Aus tiefen Höhlen sahen sie ihr entgegen, undurchsichtig wie die eines Verbrechers.
    »Wenn du glaubst«, stieß sie hervor, »wenn du glaubst, mich halten zu können, mich am Herd festzubinden, dann irrst du dich gewaltig. Du müsstest mich schon einsperren!«
    »Aber Helenchen! Was redest du denn da? Ich würde dich niemals zu etwas zwingen. Du bist im Moment etwas verwirrt, der Tod deiner Großmutter hat dir offensichtlich sehr zugesetzt. Ich brauche dich! Ich möchte, dass du bei mir bist und meine Frau wirst. Helena, bitte.«
    Erstaunt betrachtete sie den Mann, den sie einmal sehr gemocht hatte. »Du bittest mich?« Es war, als hätten seine Worte die kümmerliche Liebesglut in ihr neu entfacht.
    »Ja, ich bitte dich. Ich bitte dich, bei mir zu sein und meine Frau zu werden. Mir nächste Woche in der Kirche das Jawort zu geben. Helena, hörst du mir zu?«
    »Ich … Glaubst du, wir werden wirklich glücklich miteinander? In letzter Zeit denke ich, wir sind doch zu verschieden. Dir gehen Ruhm und Reichtum über alles und du würdest deinem Ziehvater gerne das Wasser abgraben. Du tust alles nur des Ruhmes und des Geldes wegen. Ich hingegen habe nach einem Heilmittel gegen die Seuche gesucht, weil ich den Menschen helfen wollte.«
    »Dagegen sage ich auch nichts, ganz im Gegenteil. Das ist doch sehr lobenswert.«
    »Aber ich würde gerne …«, setzte Helena zur Verdeutlichung an und fasste ihren ganzen Mut zusammen, »in eine
medizinische Lehre gehen, ich möchte lernen, Krankheiten zu besiegen, und vielleicht eines Tages Arbeit als …« Weiter kam sie nicht. Friedemar brach in hämisches Gelächter aus. »Ach, Helenchen, du bist schon ein törichtes Weib. Glaubst du, wenn du dich für die siechende Menschheit aufopferst, wirst du den frühen Tod deiner Eltern besser verkraften? Indem du nach dem Beruf eines Mannes trachtest, werden sie auch nicht wieder lebendig.« Er lachte abermals auf. »Doktor Helenchen! Du weißt doch, wie das ein paar Dörfer weiter bei dieser Dorothea Erxleben endete. In Schimpf und Schande!«
    »Ach, das weißt du so genau? Sie starb vor vierzig Jahren als angesehene Quedlinburger Bürgerin!«
    »Eine Pfuscherin war sie, nichts weiter!«
    »Bläst du auch in dieses Horn? Haltlose Vorwürfe wie dieser waren der Grund, warum sie für ihr Studium kämpfte. Sie wurde mit königlichem Privileg an der Universität zugelassen und hat als erste deutsche Frau in der Medizin promoviert. Sie hat es allen gezeigt! Und ganz nebenbei hat sie für den Haushalt gesorgt, acht Kinder großgezogen und eine gute Ehe geführt. Dorothea Erxleben hat gezeigt, dass so etwas möglich ist. Und das werde ich auch können!«
    »Übermut ist ein schlechter Gefährte«, beschied ihr Friedemar. »Wenn du glücklich werden willst, so lerne mir, deinem zukünftigen Eheherrn, zu dienen. Das ist mein guter Rat an dich.«
    Sie starrte auf die Küchenwand aus dicken, verrußten Steinen und sah vor ihrem inneren Auge das von der Krankheit entstellte Gesicht der Großmutter vor sich; als ob sich ein Schwarm dicker, kleiner Käfer auf ihr niedergelassen hätte. Kein Stück Haut war verschont geblieben, weder Lippen
noch Augenlider. Die vertrauten Gesichtszüge waren verzerrt, es war, als ob ihr der Teufel eine Fratze schnitt. »Gegen die Blattern kann ich nichts tun, aber ich will in Zukunft Leben retten, wo es in meiner Macht steht«, flüsterte Helena.
    »Ein weiblicher Medicus«, stöhnte Friedemar, »der als Frau ein eigenständiges Leben führen will. Der Herrgott möge dich vor diesem Wahnsinn beschützen. Komm, Helenchen, wende dich treu an meine Seite und übergib mir dein Notizbuch, du bist doch ein vernünftiges Mädchen.«
    »Das Buch existiert nicht mehr«, gab Helena tonlos von sich und zeigte auf die Flammen.
    »Wie bitte?« Er stürzte ans Herdfeuer und stocherte mit dem Schürhaken in der Glut, ungläubig und wie besessen. Immer und immer wieder stach er in das knisternde Feuer, bis er plötzlich innehielt. Gedankenverloren betrachtete er einen Moment lang die Eisenstange. Dann drehte er sich langsam zu ihr

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