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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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schon zu zweit. Aber keine Angst, es wird sicher eine nette Party. Du kennst ja Christoph, der lässt keine Spießer in seine Gemächer … Außerdem darfst du dich auf gute Musik und exquisite Getränke freuen. Falls dich das interessiert.«
    »Und wie. Wann soll ich wo sein?«
    *
    Kurz nach dreiundzwanzig Uhr dreißig stieg Lily die enge Treppe hinauf zur Mölkerbastei, einem der letzten Reste der alten Wiener Stadtmauer. Dreimal ging sie ums Eck, bis sie sich auf dem kleinen Platz wiederfand. Das gesuchte Haus erkannte sie gleich. Im Dritten Mann war es einst als Location verwendet worden. Orson Welles hatte sich in den Hauseingang geflüchtet und war doch von Joseph Cotton erkannt worden. Lily lächelte in Erinnerung an diese Szene und blickte hinauf zu den geöffneten Fenstern im zweiten Stock. Man hörte mit Musik unterlegte Stimmen.
    Nach dem Telefonat mit Albine war Lily von einem heftigen Anfall von Müdigkeit übermannt worden. Sie hatte sich fest vorgenommen, bloß zehn Minuten auf dem weichen Sofa in ihrem Wohnzimmer zu dösen. Daraus waren beinahe zwei Stunden geworden. Offenbar hatte sie den Schlaf nötig gehabt.
    Der Dreck und der Schweiß des Tages waren im heißen Wasser der Dusche verdampft. Sie hatte ihren Körper trockengerieben und war in ein dunkelblaues Kleid geschlüpft. Im New Yorker Sommer hatte sie es so gerne getragen.
    Geister waren dazu da, ausgetrieben zu werden.
    Ein aufkommendes Hungergefühl hatte sie mit einer Eierspeise bekämpft. Danach war sie in die Schuhe mit den höchsten Absätzen, die sie überhaupt besaß, geschlüpft und losmarschiert.
    Lily zückte ihr Handy und rief Albine an. Eine Gegensprechanlage oder eine Tastatur für einen Türcode gab es nicht.
    Albine schrie Unverständliches ins Telefon, kurz darauf summte der Türöffner. Sie stieg die steinerne Wendeltreppe empor. Alles in diesem Haus war alt und duftete nach Vergangenheit, nach den Menschen, die hier gelebt hatten, und den Schicksalen, die hier verhandelt worden waren.
    Albine begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. »Ich bin so froh, dass du hier bist. Und zum richtigen Zeitpunkt. Vor einer halben Stunde war es noch recht fad.«
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte Lily. Sie folgte Albine in die Wohnung und schaute sich zaghaft um. »Angenehme Musik. Was ist das?«, fragte sie ihre Freundin.
    »Das ist erstens der gute Geschmack von Christoph. Und zweitens gibt es heute einen Abend mit italienischem Rock, Lounge und Bossa Nova aus den Seventies …«
    Weiter kam Albine nicht, der Gastgeber war aufgetaucht.
    »Schön, dich zu sehen, Lily!«, sagte Christoph und küsste sie auf die Wangen.
    »Hallo Christoph.«
    »Du siehst großartig aus. New York hat dir sichtlich gutgetan.«
    »Danke … wird wohl so sein«, sagte Lily, lächelte mit geschlossenen Lippen und nickte dem Gastgeber so zu, wie man es in den USA tat, als Zeichen, dass alles herrlich in Ordnung war.
    Lily war unschlüssig, was von seinen Worten zu halten war. Christophs Tonfall hatte zwar nach ehrlicher Bewunderung geklungen. Doch ein Bewunderer Lilys war er, seitdem sie einander vor fünf Jahren durch Albines Vermittlung kennengelernt hatten. Und das war er seither immer geblieben. Mehr hatte nie stattgefunden. Vielleicht hatte die richtige Gelegenheit gefehlt, die Bekanntschaft auszubauen. Aber er hatte auch nie aufgehört, ihr Komplimente zu machen. Wobei stets unklar blieb, was er sich davon versprach und weshalb er nie versucht hatte, die netten Worte in eine Strategie der Verführung einzubauen. Also waren Christophs Komplimente für Lily mit der Zeit zu etwas geworden, das sie als bloßen Ausdruck von Höflichkeit betrachtete, nicht mehr.
    »Komm weiter, Lily«, sagte Christoph, »ich stell dir ein paar Leute vor.«
    Albine lächelte ihre Freundin vielsagend an, als hätte sie die Idee noch immer nicht aufgegeben, Lily mit Christoph zu verkuppeln. Sie wanderten in den großen Salon. In diesem Moment wechselte die Musik zu einem sanften Bossa Nova, der weniger von brasilianischer Melancholie als vielmehr von italienischer Leichtfertigkeit gekennzeichnet war. Also die 1970er-Pop-Variante dessen, was Antonio Carlos Jobim und andere einst in Rio erfunden hatten.
    Der Raum, zu dessen geöffneten Fenstern Lily vor wenigen Minuten hinaufgeschaut hatte, war in milden Rot- und Gelbtönen beleuchtet. Das diffuse Licht schmeichelte den Anwesenden, die sich als halbdunkle Silhouetten vor den mit großformatigen Bildern gepflasterten Wänden

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