Maedchenauge
abzeichneten. Die Stimmen der Menschen ergaben einen eigenen Klangteppich, der mit der Musik harmonierte. Alle schienen gelassen, nur vereinzelt hörte man Lacher.
Christoph sah Lily neugierig an. »Was möchtest du trinken?«
»Ein kühler Weißwein wäre fein.«
»Gespritzt?«
»Lieber gut und pur. Gibt es einen Grünen Veltliner?«
»Sicher.«
Albine mischte sich ein. »Für mich auch, ich will hier nicht verdursten.«
Der Gastgeber holte eine Flasche aus dem Kühler, öffnete sie und füllte zwei Gläser.
Lily nickte anerkennend. »Aha, Riedel -Gläser.«
»Seinen Stil hat er nicht verloren, der gute Christoph«, sagte Albine genüsslich.
»Ich habe überhaupt nichts verloren, liebe Albine. Ganz im Gegenteil, ich habe sogar manches hinzugewonnen.«
»Versprechen oder Drohung?«, fragte Albine und nahm einen großen Schluck von ihrem Veltliner.
»Bist du noch in dieser Werbeagentur … wie hat sie noch geheißen?«, fragte Lily.
»Ich hab gewechselt, aber … ja, immer noch die Werbebranche.«
»Damit warst du früher ja sehr zufrieden. Ist das immer noch so?«
Albine erhob ihren Zeigefinger wie eine strenge Lehrerin. »Ihr seid so schlimme Kinder. Ihr redet über Berufliches. Das ist ab-so-lut verboten, ein Tabu … Moment, entschuldigt mich kurz …«
Albine hatte eine Kollegin entdeckt und eilte zu ihr.
Lily lachte. »Also, jetzt, wo unsere Aufseherin weg ist … Sag schon, geht’s dir gut?«
»Es ist noch immer das Kreativ-Sein, das mir gefällt. Aber grundsätzlich ist mir natürlich klar, dass ich eigentlich nichts Weltbewegendes mache. Also nichts, das die Welt besser macht.«
»Solange es die Welt nicht schlechter macht …«
»Das will ich vermeiden. Was noch immer bedeutet, dass die Bilanz gleich null ist.«
Sie sprachen über berufliche und private Lebensentwürfe, über gemeinsame Freunde, kaum über sich selbst.
Lily fiel auf, dass Christoph fast nicht auf ihre Tätigkeit als Staatsanwältin einging oder sie gar mit einer neugierigen Frage zu den Morden belästigte. Nur ganz allgemein erkundigte er sich nach ihrem Arbeitsplatz, führte den Dialog dann aber wieder von diesem allzu offensichtlichen Thema weg. Das gefiel Lily. Sie war erleichtert, dass sie nicht schon wieder in Gedanken in ihr Büro in der Landesgerichtsstraße zurückkehren musste. Doch für einen Augenblick überlegte sie, ob es nicht das war, was Christophs Höflichkeit stets gekennzeichnet hatte. Dieser Hauch von Unverbindlichkeit, den er offenbar nicht abzuschütteln imstande war. Und der mit dafür verantwortlich war, dass es niemals zu mehr gekommen war.
Doch sie schob diese Erkenntnis sofort wieder beiseite. Sie wollte die Party genießen, und Christophs höfliche Zurückhaltung erleichterte dies. Sie lernte andere Menschen kennen, während Christoph sich wieder auf seine Pflichten als Gastgeber besann, und keinem schien sie als die in der Mordserie ermittelnde Staatsanwältin ein Begriff zu sein.
Einmal fragte sich Lily zwar, ob sie nur so taten, ließ den Gedanken jedoch wieder fallen. Die Menschen waren interessant und die Musik angenehm, Lily trank ein zweites und drittes Glas, bis sie das Gefühl hatte, den kriminalistischen Problemen langsam zu entschweben.
Irgendwann wurden die Stimmen der Gäste lauter, ebenso die Musik, es wurde mehr gelacht, und ein paar Mädchen fingen an, zu einem besonders poppigen Bossa Nova ausgelassen zu tanzen. Zwei Mädchen kamen einander näher, sie umschlangen und küssten sich, ihre Hände wanderten über den Körper der jeweils anderen. Lily sah zu ihnen hin. Für einen Moment und völlig gegen ihren Willen dachte sie an Selma Jordis und die zwei Unbekannten namens Tom und Nicole .
Sie lenkte ihren Blick zu der Gruppe, die sich auf ein paar Fauteuils ausgestreckt hatte. Albine war ebenfalls darunter. Ihr Kopf ruhte im Schoß eines jungen Mannes, den Lily auf höchstens zwanzig schätzte. Er saugte an einem Joint und reichte ihn dann Albine, die genießerisch einen Zug nahm und den Rauch langsam ausatmete. Kurz streiften einander die Blicke von Lily und Albine, die lächelte und auf den Joint deutete, als böte sie diesen ihrer Freundin an. Lily lächelte zurück und tippte scherzhaft an ihre Stirn. Im nächsten Moment fiel ihr zum ersten Mal der intensive Blick eines hübschen dunkelhaarigen Mannes auf, der sich in Gesellschaft einer auffällig schlanken Brünetten mit wallender Mähne befand. Er mochte Mitte zwanzig sein und machte keine Anstalten, seinen Blick
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