Maedchenauge
Gäste reservierten Hotelparkplatz ab. Er schlenderte die wenigen Meter zu einem betagten Haus, dessen dicke Mauern jeder Lawine getrotzt hätten. Seit Jahrhunderten residierten hier die Pfarrer von Dienten. Vor seiner Abfahrt hatte sich Descho noch schnell im Internet kundig gemacht, jetzt wollte er mit Helmut Zach sprechen. In österreichischen Dörfern zählten die Pfarrer immer noch zu den besten Informationsquellen. Sie kannten jeden und wussten all das, was öffentlich verschwiegen wurde, ob aus Scham, Angst oder purer Berechnung.
Eine erstaunlich niedrige, für Menschen einer anderen Zeit gebaute Tür aus Holz bildete den Eingang. Descho drückte auf den daneben angebrachten Knopf und wischte sich mit einem Stofftaschentuchl den Schweiß von der Stirn. Er war überzeugt, dass Zach ihm mehr über die Familie Karner würde verraten können. Nicht zuletzt über Magdalena, die der Pfarrer noch persönlich gekannt haben musste.
Descho plante, ganz locker mit Zach zu plaudern. Menschen öffneten sich gegenüber neugierigen Fragen, wenn man ihnen das Gefühl gab, dass es eigentlich um komplett Nebensächliches ging. Man musste jeden Anschein von Verhör meiden und die Atmosphäre ungezwungenen Smalltalks herstellen. In solchen Fällen verließ sich Descho auf sein Äußeres. Die runde Bauchregion suggerierte ein beschauliches Temperament, und von der Natur war er mit einer Glatze sowie einem scheinbar unerschütterlich heiteren Gesichtsausdruck ausgestattet worden. Dazu kam die beruhigende Wirkung der weichen, unaufdringlichen Stimme. Die Menschen vergaßen, es mit einem ermittelnden Kriminalbeamten zu tun zu haben.
Für Descho war Pfarrer Zach mehr als nur irgendein zufälliger Gesprächspartner. Aus ihm konnte ein entscheidender Zeuge werden, wenn Descho es geschickt anstellte. Zach musste über familiäre Interna der Karners Bescheid wissen, auf welche Weise auch immer sie ihm zu Ohren gekommen sein mochten. Vielleicht gar bei der Beichte. Das war Deschos Arbeitshypothese, aber auch seine vorläufig einzige Hoffnung. Sollte sich der Pfarrer in der Pose eines weltfernen Einsiedlers gefallen, musste man ihn ein wenig manipulieren.
Descho sah harmlos aus. Tatsächlich war er ziemlich schlau. Er ließ sich von anderen bewusst unterschätzen, während er innerlich vor Ehrgeiz brannte. Er wollte den allzu selbstbewussten Kollegen aus dem großen Wien vor Augen führen, dass man auch in der Provinz das Polizeihandwerk beherrschte. Seit er in den Kriminaldienst eingetreten war, hatte er insgeheim diesen Wunsch gehegt. Den sonnigen Nachmittag im Freibad sollte man ihm nicht umsonst verdorben haben.
*
Die Sparsamkeit des Hausbesitzers erkannte man daran, dass die Beleuchtung der langen Korridore nur jeweils eine knappe Minute lang anhielt. Zum Glück hatten die Ermittler eigene Lampen mitgebracht. Ansonsten störte der eigenartige Geruch, der sich jahrzehntelang in den Beton gefressen hatte. Das schale Odeur längst vergangener und vergessener Existenzen hatte sich so verewigt, eine Mischung aus Rauch, Staub und Küchengestank, die durch die Ritzen der Wohnungstüren nach draußen entwichen war und die Wände imprägniert hatte.
Der Grund für die gespenstische Ruhe war, wie Edi Steffek mit der Zeit herausfand, vielschichtig. Rund ein Drittel der Wohnungen stand überhaupt leer. Ein weiteres Drittel war von Firmen als Unterkünfte für Wien-Aufenthalte von Mitarbeitern angemietet worden, teilweise als Tarnung für die erotischen Abenteuer der Manager, wie Steffek von Nachbarn versichert wurde. Lediglich der Rest der Wohnungen wurde dauerhaft bewohnt, und ein Großteil dieser Mieter hatte es angesichts des Wetters und der heißen Betonmauern bevorzugt, ins Freie zu flüchten.
»Bei den Salzburgern sind Grenzdebile am Werk«, sagte Major Belonoz.
Zornig schüttelte er den Kopf und ließ das Handy in die rechte Sakkotasche plumpsen. Mit Edi Steffek stand er vor der Eingangstür zu Magdalena Karners Wohnung. Beide schwitzten heftig.
»Wir wissen, wie die Eltern heißen und wo sie wohnen. Aber die Mozartkugeln schaffen es nicht, die beiden aufzustöbern. Und der Mann, den sie auf die Suche geschickt haben, ist derzeit nicht erreichbar. Unfassbar.«
Steffek nickte zustimmend, er verstand die üble Laune seines Chefs. Gerade bei Mordfällen mussten möglichst rasch die engsten Angehörigen des Opfers befragt werden. Sensibel natürlich, und der Tatsache bewusst, es mit schwer geschockten Menschen zu tun zu haben. Was
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