Maedchenauge
zur Polizei zu gehen. Damals habe ich geglaubt, dass mich der Schlag trifft. Meine beste Freundin bei der Polizei! Da hätte nur noch gefehlt, dass ich mich unsterblich in jemanden verliebe, der ein lebenslanges Keuschheitsgelübde abgelegt hat.«
»Das war ja nur so eine Idee, Albine.«
»Ja, eine Schnapsidee. Hochprozentig.«
»In der Polizei herrscht eine ganz spezielle Atmosphäre. Hierarchie, Disziplin und Korpsgeist sind dort extrem wichtig.«
»Da wäre die auf Unabhängigkeit bedachte Lily aber aufgeschmissen gewesen.«
»Eben, Albine. Und in der Staatsanwaltschaft bietet die Arbeit etwas für den Intellekt. Man muss selbständig denken können. Bei der Polizei hätte mir das Analytische gefehlt, das Gehirnbetonte. So aber kann ich immer noch Rechtsanwältin werden, wenn mir der österreichische Staat irgendwann total auf die Nerven geht.«
»Tut er das denn nicht schon längst? Also ich weiß nicht, wie ich es aushalten würde, für den Staat zu arbeiten.«
»Meinst du?«
»Mir wäre nie klar, ob meine Arbeit überhaupt geschätzt wird und Sinn ergibt. Der Staat ist so ein riesiger Moloch. Dazu die Politiker, die dauernd mitreden, aber immer nur bedeutungslose Phrasen dreschen, anstatt konkrete Antworten zu geben. Genau diese Politiker spielen sich dauernd als Chefs und Besserwisser auf.«
»Noch schaffe ich das. Was die Zukunft bringt, wird man ja sehen.«
Albine reagierte mit einem verständnisvollen Lächeln, sie hatte nicht vor, Lilys Arbeit einem Stresstest zu unterziehen. Dabei flog ihr Blick über Lilys Körper. Sie bemerkte, dass die Freundin in den vergangenen Monaten noch deutlich schlanker geworden war. Dennoch hatte Lilys eigenwillige Schönheit nicht gelitten. Nun erinnerte sie an eine ätherische Elfe oder eine Fee aus einer Zauberwelt.
»Weißt du schon, worauf du dich spezialisieren wirst?«, fragte Albine.
»Wirtschaftskriminalität. Jedenfalls habe ich das dem Oberstaatsanwalt vorgeschlagen.«
»Sehr cool, da kannst du diese Gauner in ihren feinen Anzügen zur Strecke bringen. Also die Typen, die permanent abkassieren, während die Normalbürger sparen müssen.«
»Genau«, gab Lily amüsiert und zugleich entschlossen zurück. »Hauptsache, ich bin ganz weit weg von irgendwelchen geistesgestörten Mördern.«
»Aber dein Erfolg mit diesem … diesem Salusek … Es hat dich doch berühmt gemacht, dass du ihn …«
»Berühmt hat es mich sicher nicht gemacht.«
»Okay, sagen wir, es hat dich bekannt gemacht, dass du den Psychopathen geschnappt hast.«
»Ein bisschen vielleicht. Kurzfristig. Aber der Fall hat mir wirklich gereicht. Überhaupt gehen mir verrückte Männer nur noch auf die Nerven. Aus irgendwelchen Gründen scheint es da leider kein Nachwuchsproblem zu geben.«
Während die beiden noch Albines unstetes Liebesleben, deren durch eine neue Chefin stressig gewordene Arbeit als Radiomoderatorin und die aktuellen Entwicklungen im gemeinsamen Freundeskreis durchgingen, entfaltete sich im Burggarten die entspannte Atmosphäre eines späten sommerlichen Nachmittags. Es war kurz nach siebzehn Uhr. Der Gedanke, dass in Wien ein Mensch frei herumlief, der junge Frauen erstach, war so fern wie die Grippewelle in Australien.
Allein an einem kleinen Tisch saß ein dunkel gekleideter Mann, der sein Bier austrank und eine Zigarette im Aschenbecher zerdrückte. Er nahm die vor ihm liegende digitale Spiegelreflexkamera und blickte in den Sucher. Es schien, als interessierte sich der Mann für den Burggarten und die dort herumschwirrenden Vögel. Das Teleobjektiv richtete er mehrmals, aber bloß für wenige Momente und wie zufällig, auf einen anderen Tisch, an dem zwei Personen saßen, von denen die eine blond und die andere rothaarig war. Niemandem fiel das auf.
*
Ferdinand Descho war zweiunddreißig Jahre alt und ein gehorsamer Mensch. Unterordnung und Pflichtbewusstsein waren das, was ihm seine Eltern beigebracht hatten, kleine Tagelöhner, später Knecht beziehungsweise Magd auf verschiedenen Bauernhöfen. Was die Obrigkeit sagte, glaubte oder vorschrieb, das galt, und man hatte es zu akzeptieren, widerspruchslos. Dem Sohn vermittelten die Eltern, dass dieses Prinzip ein gutes, sorgenfreies Leben garantiere.
Also wurde und blieb Descho stets gehorsam, was ihm beim Militär und bei der Polizei zum Vorteil gereichte. Er stieg auf, blieb nicht, wie manch anderer mit bescheidener Schulbildung, in der Karrierefalle eines kleinen Streifenbeamten stecken. Was er versäumt
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