Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
Vom Netzwerk:
war es anders. Er hat …«
    »Sorry, aber ich weiß, was ich gesehen habe. Auch die Leiche, und zwar sehr genau.«
    Da berührte Dalik behutsam den Unterarm des Majors, als wäre dieser ein zu Aufsässigkeit neigender Patient, der beruhigt werden musste.
    »Es tut mir leid«, sagte der Gerichtsmediziner sanft. »Ich habe mich unklar ausgedrückt, lassen Sie es mich noch einmal versuchen. Nase und Mund waren also wie der restliche Kopf mit sogenanntem Duct Tape zugeklebt. So weit sind wir uns einig. Aber der Täter hat zuerst die Augen ausgestochen und danach die Klebestreifen angebracht. Das Opfer hat da noch gelebt und geatmet. Letztlich war es ein Erstickungstod. Und wenn Sie mich fragen, lieber Belonoz, garantiert eine ziemliche Quälerei.«

4
    So wie sie dastanden, ganz ohne Entourage, ohne Einflüsterer, Berater, Bewunderer, Begaffer, Einschmeichler, Verehrer oder Bewacher, vor allem jedoch ohne Fotografen, waren sie einfach nur ein Mann und eine Frau, nichts weiter.
    Der Mann war Ende vierzig, er schien seltsam aufgedunsen und frühzeitig gealtert. Sein weißes Hemd spannte im Bauchbereich, die Jeans schienen augenblicklich zu platzen. Die Frau in ihrem cremefarbenen, sommerlich leichten Kostüm wirkte aufrechter, gepflegter, eleganter, frischer, dadurch insgesamt jünger. Weil sie hohe Absätze trug, überragte sie den Mann um ein paar Zentimeter.
    Seite an Seite blickten sie durch das Fenster eines anonymen Bürogebäudes unweit des Stadtzentrums nach draußen. Sie schwiegen, während die Dämmerung die Stadt in ein intensives Orange tauchte, das langsam einem begierigen und dunkler werdenden Blau wich. Im Meer der Straßen und Häuser funkelten immer mehr Lichtpunkte, die Leben anzeigten.
    »Lauter Schicksale dort unten«, sagte die Frau leise und nachdenklich.
    »Nein«, widersprach der Mann schroff. »Keine Schicksale. Wähler.«
    Aus zwei Menschen wurden zwei Politiker. Der gut gepolsterte Mann war Berti Stotz, der Bürgermeister der Stadt Wien. Und die schlanke Frau neben ihm war die Vizebürgermeisterin Marina Lohner. Es war wenig an ihnen, das sie von den meisten anderen Menschen unterschieden hätte. Weder schienen sie außergewöhnlich klug noch besonders humorvoll zu sein.
    Es waren der Wille zur Macht und die gesellschaftliche Stellung, die sie auszeichneten. Und die Fähigkeit, das Leben ihrer Mitbürger zu beeinflussen. Das verschaffte ihnen Ansehen und Bedeutung, und weil ihnen dies bewusst war, versäumten beide keine Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren. Fotografiert zu werden, während aus der anonymen Masse Objektive auf sie gerichtet waren, empfanden sie nicht als Zumutung, sondern als Beweis der Zustimmung, ja, der Liebe.
    Der Bürgermeister ließ sich in den pompösen Lederstuhl hinter einem riesigen, völlig leeren Schreibtisch aus dunkelbraunem Holz fallen. Heimlich war das geräumige, spärlich möblierte Büro einige Monate zuvor angemietet worden, damit Stotz sich ungestört und unbeobachtet auf den Wahlkampf vorbereiten konnte. Bloß ein paar engste Vertraute waren eingeweiht.
    Vor über vier Jahren hatte Stotz mit populistischen Parolen versprochen, in Wien alles besser zu machen und für Ordnung zu sorgen. Aufräumen wolle er, hatte er wiederholt mit frecher Entschlossenheit angekündigt. Zur Überraschung der meisten Beobachter hatte er etablierte Konkurrenten besiegt. Damals war er ein noch halbwegs jugendlich wirkender, vorlauter Wirbelwind gewesen. Die Zeit indes hatte gnadenlos gewütet. Sein Körpergewicht war ebenso gewachsen wie seine Selbstzufriedenheit. Stotz’ einstige Ambitionen waren ihm hingegen abhandengekommen, falls sie jemals wirklich existiert hatten. Mittlerweile ging es ihm um den bloßen Machterhalt. Die Neigung zu Intrigen war ihm geblieben.
    »Bitte nimm Platz, Marina«, lud er seine Vizebürgermeisterin ein, und sein Tonfall war betont freundlich.
    Als wollte sie beweisen, selbst die letzte Entscheidung über ihre Bewegungen zu treffen, verharrte Marina Lohner am Fenster. Erst nach einem Augenblick bewusster Verzögerung stolzierte sie mit betont langsamen Schritten zum Schreibtisch. Sie setzte sich und schlug ihre schlanken Beine übereinander.
    Die Bürobeleuchtung war unbarmherzig. Doch der gepflegten Erscheinung der fünfundvierzigjährigen Vizebürgermeisterin konnte sie nichts anhaben.
    »Warum hast du mich an einem Sonntag hierherkommen lassen, Berti?«, fragte sie unverwandt.
    Stotz starrte sie kurz an, schließlich lachte

Weitere Kostenlose Bücher