Maedchenauge
Major?«
Belonoz schwieg. Staatsanwalt Oliver Seiler hatte bislang sowohl die Ermittlungen im Pratorama -Skandal wie auch in den Frauenmorden geleitet. Offenbar war ihm das nun zu viel geworden. Tatsächlich hatte Seiler zuletzt deutlich weniger Interesse an Belonoz’ Arbeit gezeigt und ihm freie Hand gelassen. Belonoz hatte dies als Versuch Seilers interpretiert, nicht mit den erfolglosen Mordermittlungen assoziiert zu werden und sich lieber im Glanz eines aufbrechenden Politskandals zu sonnen. Andererseits lag nun die Möglichkeit nahe, dass Seiler durch die Konzentration auf Pratorama isoliert werden sollte. Welche Rolle der politisch flexible Lenz in diesem Spiel einnahm, war unklar.
»Wer genau wird die Untersuchung leiten?«, fragte Belonoz direkt und sah Lenz an, der seinem Blick auswich.
»Das steht so gut wie fest, aber ganz offiziell machen wir es morgen Vormittag«, sagte Lenz in diskreter Lautstärke und einem Tonfall, der Vertraulichkeit suggerieren sollte. »Auf ein paar Stunden früher oder später kommt es nicht an. Sie können darauf vertrauen, dass Sie es mit einer besonders fähigen Person zu tun haben werden, die auch schon Erfahrung hat, wie man einen gefährlichen Täter jagt. So, jetzt will ich Sie nicht weiter aufhalten und überlasse Sie wieder Ihrer Arbeit. Ich hoffe, wir sehen einander unter erfreulicheren Umständen bald wieder, Herr Major.«
Lenz ergriff Belonoz’ Hand, schüttelte sie emphatisch und rauschte so eilig ab, wie er aufgetaucht war. Er hatte sich gar nicht erst bemüht, Interesse für den aktuellen Leichenfund vorzutäuschen.
»Der kleine Cäsar unter den Wiener Staatsanwälten kam, schwätzte und ging«, sagte Belonoz mit verächtlicher Ironie zu Steffek. »Natürlich, damit sich keiner beschweren kann, dass niemand von der Staatsanwaltschaft hier war. Alles nur, um der Form Genüge zu tun. Wie immer bei solchen bürokratischen Schreibtischhockern.«
Steffek räusperte sich. »Weißt du, welche Staatsanwältin er gemeint haben könnte?«
»Nein. Soll es wirklich eine Frau sein?«
»Sagen die Gerüchte.«
»Ich habe noch nichts herausfinden können. Mir fällt jedenfalls keine ein, die zur Beschreibung von Lenz passt.«
»Vielleicht eine aus Graz oder Linz?«, überlegte Steffek.
»Möglich. Oder eine Schnecke aus Salzburg. Das könnte amüsant werden, wenn irgendeine Provinztussi hier anrückt und das Kommando führt. Nur weil sie schon einmal einen Sittenstrolch eingebuchtet hat, der im Streichelzoo ein paar Tiere belästigt hat.«
Kurz vor achtzehn Uhr wurde Magdalena Karners Leiche in einem grauen Aluminiumsarg abtransportiert. Ein älterer, leicht untersetzter Mann mit Vollglatze, schwerer Lesebrille und gerundetem Rücken kam auf Belonoz zu. Professor Clemens Dalik war der diensthabende Gerichtsmediziner und ein Veteran seines Fachs.
»Tatzeitpunkt war zwischen dreiundzwanzig und vier Uhr«, sagte Dalik. »In der Wohnung war es allerdings recht warm. Das hat den Verwesungsprozess durchaus beeinflusst.«
»Alle Fenster waren geöffnet«, murmelte Belonoz wie zu sich selbst. »Und das bei der größten Hitze.«
»Nach der Obduktion morgen werden wir mehr wissen. Die Insekten beziehungsweise deren Larven werden uns bei der Bestimmung der Todeszeit helfen.«
»Fliegen?«
»Aber natürlich. Für die muss das der reinste Sonntagsbraten gewesen sein.«
»Das ist die Handschrift des Täters. Er ermordet eine Frau und überlässt sie der Natur. Sagen Sie mir bitte so exakt wie möglich, wann das Opfer erstochen worden ist«, bat Belonoz mit resignativem Unterton. »Wir haben so wenig Spuren. Jedes Detail könnte weiterhelfen, wenn wir dieses Spiel gewinnen wollen.«
Daliks Miene verzog sich nur unmerklich. »Verzeihen Sie, das habe ich in dem Trubel ganz vergessen. Das Opfer ist nicht erstochen worden.«
Zwei Sekunden lang starrte Belonoz den Gerichtsmediziner verblüfft an. Er glaubte, sich verhört zu haben. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Es stimmt schon, die Leiche weist Einstichstellen auf, die wahrscheinlich vom selben Tatwerkzeug stammen wie bei den zwei früheren Morden.«
»Das ist klar.«
»Nur hat der Täter seine Methode in einem entscheidenden Punkt verändert. Er hat die Stichwunden zugefügt und danach sein übliches Ritual vollzogen.«
Belonoz, der nicht begriff, worauf Dalik hinauswollte, wurde ungeduldig. »Na sicher, der Mörder hat wie in den beiden anderen Fällen den Kopf der Leiche mit Klebestreifen umwickelt.«
»Nein, diesmal
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