Maedchenauge
eingeengt fühlt. Bei einem anderen Fall war es ganz ähnlich. Da ist jemand bespitzelt worden, und das war überhaupt nicht schwer. Das Opfer selbst hat sich dem Täter wie auf dem Präsentierteller angeboten. Natürlich ohne es zu ahnen.«
»Rollläden verdunkeln die Wohnung ziemlich stark. Außerdem hat man nicht immer Lust, sie hinaufzuziehen oder herunterzulassen.«
»Damit rechnen Voyeure.«
»Ich frage mich jetzt«, sagte Lily nachdenklich, »ob es das war, was mir in der Wohnung aufgefallen ist. Denn da war irgendein Gefühl, aber … Ich kann es einfach nicht mit Worten beschreiben. Das kommt Ihnen vielleicht blödsinnig vor, aber ich …«
»So geht es einem an Tatorten«, stellte Belonoz lapidar fest. »Man hat immer den Eindruck, dass etwas Besonderes in der Luft liegt. Etwas, das die Lösung zum Rätsel des Verbrechens bilden könnte. Eine Atmosphäre, die den richtigen Weg weist. Aber das ist meistens Autosuggestion.«
»Wie auch immer«, wischte Lily ihre Gedanken beiseite, »Sie haben jedenfalls den Voyeur enttarnt.«
»Ein Vorhang an einem Fenster gegenüber hat sich bewegt, dann zweimal ein kurzes Aufblitzen. Wahrscheinlich war es Sonnenlicht, vom Objektiv reflektiert.«
»Extrem gut beobachtet, Herr Belonoz.«
»Nein, blöd gemacht von dem Typen. Wahrscheinlich, weil er in der eigenen Wohnung war. Da hat er sich zu sicher gefühlt. So eine Wohnung habe ich noch nie gesehen. Völlig desolat, die Küche verdreckt, überall verstreut Kartoffelchips und leere Packungen. Und dazwischen teure Ferngläser, ein Teleskop, ein Nachtsichtgerät, drei Digitalkameras, Flachbildschirme, Beamer … Habe ich irgendwas vergessen? Wahrscheinlich hat er die gesamte Nachbarschaft kontrolliert … und dann noch …«
Lily schwieg. Sie wollte sich nicht in eine falsche Euphorie steigern.
»Was glauben Sie, wie lange wird die Untersuchung des Materials dauern?«, fragte sie.
»Schwer zu sagen«, sagte Belonoz skeptisch. »Ein paar Stunden mindestens für einen groben Überblick. Aber wer weiß, was der Mann alles an Material hortet … und wo. Ich gehe von mindestens ein paar Tagen aus.«
»Und wenn wir Pech haben, wissen wir dann immer noch nicht, ob er mehr getan hat als nur zu beobachten.«
»Sicher, wenn er alles ableugnet und wir nur auf die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung angewiesen sind, wird es ziemlich kritisch.«
»In weniger als achtundvierzig Stunden wird der Haftrichter von mir wissen wollen, was gegen den Mann vorliegt«, sagte Lily, die vor Unruhe aufgestanden und zum Fenster gegangen war. »Voyeurismus allein ist kein Haftgrund. Selbst wenn ich ihn als Stalker darstelle, reicht das nicht für eine Verlängerung der Untersuchungshaft. Schließlich ist das Objekt seiner Begierde tot und kann von ihm nicht mehr belästigt werden.«
»Frau Doktor, Sie werden sich etwas einfallen lassen müssen.«
»Jetzt rein von Ihrem Gefühl her … Könnten Sie sich vorstellen, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat?«
»Nicht im Geringsten. Der ist ein Beobachter, der sich an dem aufgeilt, was er sieht. Aktives Handeln schafft der gar nicht. Ein Spannerschicksal eben.«
»Wenn wir uns nur nicht täuschen … Und was ist mit der zweiten … Piste ?«
»Das ist ganz interessant. Offenbar … Moment, bitte …«
Das auf dem Schreibtisch liegende Handy hatte angefangen zu brummen. Belonoz blickte auf das Display und meldete sich mit einem aggressiven »Was gibt’s denn?« Einige Male nickte er, murmelte »mhm« und beendete das Gespräch: »In fünf Minuten.«
Er schaute Lily an.
»Und genau das war die zweite Piste. Ich muss ein paar Dinge checken. Und zwar jetzt gleich. Sind Sie einverstanden?«
»Gut«, sagte Lily. »Ich nehme mir jetzt den Voyeur vor. Sobald sich etwas Wesentliches ergibt oder ich eine Verhörpause machen kann, rufe ich Sie an. Dann sehen wir weiter.«
»Passt.«
Belonoz nickte und begleitete Lily zum Vernehmungsraum der Mordkommission.
»Trinken Sie Alkohol?«, fragte er im Gehen.
Lily sah ihn überrascht an.
»Natürlich«, sagte sie. »Ich bin ja eine echte Österreicherin. Genau wie Sie.«
»Bei meinem Abschied aus Mailand hat mir Casoni fünf Flaschen Barbaresco geschenkt. Mit meiner Truppe habe ich ausgemacht, dass wir den Rotwein austrinken, sobald wir den Täter geschnappt haben. Wenn Sie Zeit haben und eine geübte Trinkerin sind, können Sie ja dazustoßen.«
Mit einer eleganten Bewegung öffnete er die Tür zum Verhörzimmer und ließ Lily eintreten. Die sich
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