Maedchenauge
in Gedanken fragte, wann er denn kommen würde, der Zeitpunkt für den Barbaresco.
*
Die Bilder waren grausam gewesen. Nicht direkt, aber durch Hinweise berichteten sie von menschlichen Abgründen und Verirrungen. Und von einer Schuld, die nicht wiedergutzumachen war.
Sasha Boninos Gesicht war nicht die geringste Regung abzulesen, als sie sich in ihrem futuristisch designten Bürosessel zurücklehnte. Ihr Blick war noch immer auf die weiße Wand ihres Büros gerichtet, auf die der Beamer die Bilder projiziert hatte.
»Das Material ist gut«, sagte sie, mehr hauchend als sprechend. »Wann haben Sie es erhalten?«
Gaby Koch wandte sich um, sie saß direkt vor Boninos Schreibtisch. »Am frühen Sonntagabend habe ich davon erfahren. Eine Stunde später habe ich den Informanten getroffen, die DVD auf meinem Laptop begutachtet und sein Angebot akzeptiert.«
»Was wollte er als Gegenleistung haben?«
»Ich habe ihn heruntergehandelt.«
»Wie viel?«
»Auf tausend Euro.«
» Tausend Euro?«
Bonino, die ihre Emotionen gerne verbarg, blickte ihre Reporterin sichtlich erstaunt an.
»Wieso … War das etwa … zu viel?«, fragte Koch vorsichtig.
»Sagen wir … Tausend Euro sind natürlich … eigentlich recht bescheiden angesichts der Tragweite. Meinen Sie nicht?«
»Ursprünglich hat er dreitausend verlangt. Da habe ich ihm klargemacht, dass … Offen gesagt, ich war mir nicht sicher. Ich habe ihm einen Tausender vorgeschlagen, um das Gespräch etwas hinauszuzögern, aber er hat sofort eingewilligt.«
»Trotzdem wirkt das äußerst günstig auf mich. Zu günstig.«
»Sie haben das Material gesehen. Ich habe es überprüft, soweit es mir möglich war. Es ist authentisch. Das Haus, die Fassade, das Licht, der Aufnahmewinkel. Alles stimmt.«
Sasha Bonino nickte gedankenverloren, ihre Blicke schweiften durch das große Panoramafenster hinaus auf das abendliche Wien. Ihre Miene war wieder ausdruckslos.
»Haben Sie ihm das Geld sofort gegeben?«
»Nein, heute früh um acht Uhr.«
»Und dann hat er Ihnen die DVD überlassen?«
»Nein, die habe ich behalten können. Nur das Geld war noch ausständig.«
Die Herausgeberin fixierte die Journalistin scharf.
»Bis dahin war die DVD in Ihrem Besitz? Einfach so?«
»Ja.«
»Das ist jetzt eigenartig … als wollte Ihr Informant das Material ohnehin loswerden …«
»Es tut mir leid, wenn ich voreilig war. Falls Sie denken, dass wir uns die Gegenleistung hätten ersparen können, dann werde ich gerne …«
»Vergessen Sie’s«, sagte Sasha Bonino kühl. »Dazu ist es jetzt zu spät. Jetzt kommt es darauf an, was wir damit machen.«
»Wir könnten im Lauf der Woche und nach weiteren Überprüfungen …«
»Auf keinen Fall. Das muss rasch gehen. Wir werden groß damit herauskommen. Wer weiß, ob nicht auch schon andere das Material haben und dafür bezahlt haben. Das könnte die Höhe des Honorars und die Vorgangsweise erklären. Nein, in der nächsten Ausgabe.«
»Also bis morgen Abend?«
»Natürlich. Und auf Seite eins. Ganz groß. Aber als Frage. Zum Beispiel: Sind diese Bilder die Lösung des Rätsels? Oder so ähnlich. Sie wissen, was ich meine. Sollte sich herausstellen, dass doch etwas Problematisches an dem Material ist, machen wir Ihren Informanten fertig und stellen ihn als Trittbrettfahrer bloß. Klar?«
»Nur frage ich mich … Ich meine, in einem so schwerwiegenden Fall … Frau Bonino, müssen wir nicht auch die Polizei informieren?«
»Aber selbstverständlich.«
»Dann werde ich gleich Belonoz kontaktieren und …«
»Wenn wir die Bilder gebracht haben, Frau Koch. Vorher nicht. Beschweren kann sich niemand, schließlich gibt es so etwas wie vertrauliche Quellen und Informantenschutz. Morgen Abend können Sie alles dem Herrn Belonoz weiterleiten. Oder der Frau Horn. Vielleicht eine gute Gelegenheit, sich mit ihr anzufreunden. Kennen Sie sie vielleicht näher?«
»Überhaupt nicht.«
»Möglicherweise ergibt sich daraus etwas … Wir werden ja sehen. Die tausend Euro werden Ihnen als Spesen gutgeschrieben. Sonst noch irgendwas, das anliegt?«
Gaby Koch verneinte und verließ eilig das Büro.
Sasha Bonino nahm ihr Handy und führte vier Telefongespräche. Danach wusste sie, dass keiner der wichtigsten österreichischen Fernsehsender ähnliches Material vorliegen hatte. Ebenso verhielt es sich mit den meisten Zeitungen. Sofern man davon ausging, dass Boninos Kontaktpersonen tatsächlich gut unterrichtet waren.
Bloß ein Wiener Konkurrenzblatt
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