Maedchenauge
Raum. »Es geht um die Morde. Es ist ganz dringend und verändert möglicherweise alles, was wir bisher wissen. Und Clip24 könnte die Sache exklusiv haben.«
Für einen kurzen Moment schwieg Sasha Bonino, die in ihrer aktiven Zeit niemals irgendetwas aufgedeckt hatte.
»Na dann, Frau Koch«, sagte sie mit kalter Stimme, »möchten wir natürlich alle erfahren, worum es geht. Verraten Sie uns doch diese Sensation. Glauben Sie, dass wir den Pulitzer-Preis dafür kriegen könnten?«
Man hörte den arroganten Triumph im Tonfall der Herausgeberin. Doch Gaby Koch gab nicht nach. Im Gegenteil, plötzlich wirkte sie sehr selbstbewusst.
»Nein, sicher nicht hier und jetzt. Unter vier Augen oder gar nicht.«
Sasha Bonino erstarrte und wirkte für einen Moment wie eine Schaufensterfigur. Es war lange her, dass ihr jemand widersprochen, gar ihr Bedingungen gestellt hatte.
Plötzlich, als befände sie sich in Trance, winkte sie Gaby Koch zu sich.
»Sie haben eine Minute.«
Die Journalistin ging zu ihr, argwöhnisch beäugt von den anderen Anwesenden. Sie benötigte keine Minute, flüsterte nur ein paar Worte in das Ohr der Chefin. Die Zeitungsmacherin drehte ihren Kopf und sah ihre Reporterin frontal an.
»Ist das wahr?«, fragte sie laut.
»Ja«, bestätigte Gaby Koch.
»Und niemand sonst hat diese Informationen?«
»Nicht einmal die Polizei.«
Leichte Unruhe breitete sich im Raum aus. Die plötzlich erwachte Neugier aller Anwesenden war geradezu körperlich zu spüren. Sie reckten die Köpfe, um nur ja kein Detail der Szene zwischen den beiden Frauen zu verpassen.
»Gut«, verkündete Sasha Bonino, »das wär’s für den Moment. Sie wissen, was ich erwarte. Beschaffen Sie es.«
Unvermittelt erhob sie sich und bedeutete Gaby Koch durch eine knappe Kopfbewegung, ihr zu folgen. Die Redaktionssitzung war beendet.
Fünfzehn Minuten später musste der für die Chronikberichterstattung zuständige Ressortleiter sein Arbeitszimmer räumen. Gaby Koch, die bisher wie die anderen einfachen Redakteure im zentralen Newsroom gewerkt hatte, zog dort ein.
*
Ob sie denn schon eine Idee hätte, was sie tun wolle, hatte er sie gefragt.
»Ja«, antwortete Marina Lohner. »Ob es funktionieren wird, weiß ich nicht. Aber mir bleibt keine andere Möglichkeit. Stotz will mich absägen. Morgen in der Pressekonferenz, ganz öffentlich.«
Eine Art Hinrichtung auf dem Marktplatz, vor aller Augen, wie im Mittelalter, sei dies, meinte er.
»Den Gefallen werde ich ihm sicher nicht erweisen«, sagte die Vizebürgermeisterin entschlossen.
Während der letzten Stunden hatte sie die Lage sondiert. Äußerlich gelassen hatte sie die Termine dieses Tages absolviert. Doch ihre Gedanken hatten immer nur der Frage gegolten, wie die Intrige des Bürgermeisters durchkreuzt werden könnte.
Während eines späten Mittagessens im Steirereck war sie die unterschiedlichen Möglichkeiten durchgegangen. Nun saß sie im Fond ihres Dienst-Mercedes’, der in einem Halteverbot beim Stadtpark abgestellt worden war. Mit dem Auftrag, in der Buchhandlung des Museums für angewandte Kunst eine Architekturzeitschrift zu besorgen, war sie den Chauffeur losgeworden. Und hatte zum Telefon gegriffen.
Was sie also tun wolle, wurde sie von dem Mann am anderen Ende der Leitung gefragt.
»Es bleibt nur die Radikallösung«, stellte Lohner ungerührt fest.
Das könne gefährlich werden, sagte er.
»Sicher, aber Stotz will mich fertigmachen. Wenn er das schafft, bin ich erledigt. Comeback gibt es in Wien keines, wenn der Bürgermeister dich einmal abserviert hat. Dann kann ich irgendwo im Rathaus in einer dunklen Ecke hocken und als Frühstücksdirektorin versauern. Wenn die mich nicht binnen vier Wochen wegmobben, würde ich mich sehr wundern.«
Ob sie denn eventuell in die Bundespolitik wechseln wolle?
»Keine Chance. Stotz mischt ja auch dort mit.«
Sie wolle also …?
»Ihm zuvorkommen. Die Seiten wechseln. Die Fühler habe ich in den letzten Stunden ausgestreckt. Ab nun bin ich nicht mehr seine Verbündete, sondern seine Gegnerin. Der morgige Vormittag, an dem Berti seine Presskonferenz veranstalten will, wird komplett anders aussehen, als er glaubt. Das ist der erste Schritt.«
Und der zweite?
» Pratorama natürlich. Da werden ein paar Leute hochgehen. Material habe ich genug. Ich kann dir prophezeien, innerhalb von zwei Wochen wird sich die politische Landschaft in Wien völlig verändert haben. Um hundertachtzig Grad. Das ist meine Chance. Bis zum
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