Maedchenauge
Autoritätsgläubigkeit getrimmt worden. Deshalb tat sie, was ihr aufgetragen worden war.
Sie tippte Sebastians Nummer in das Handy. Man sah auf dem Display, wie der Anruf aktiviert wurde. Und man hörte das Läuten.
Es kam aus dem ersten Stock der Villa.
Descho und ein Kollege rasten hinauf. Auf dem Bett in Sebastian Embergers Zimmer lag das Handy. Descho nahm es an sich.
Er stürmte die Treppe hinab und fragte die Haushälterin, ob Sebastian noch ein zweites Handy besitze. Oder ob er auf einer anderen Nummer zu erreichen sei. Die Haushälterin schüttelte den Kopf: »Davon weiß ich nichts, Herr Inspektor.«
»Gut, dann müssen Sie mir eines versprechen«, sagte Descho. »Sollte sich Herr Emberger hier im Haus oder bei Ihnen telefonisch melden, dann wissen Sie von nichts. Erzählen Sie ihm bitte mit keinem Wort von unserem Besuch. Erwähnen Sie die Polizei nicht, sondern fragen Sie ihn ganz ruhig, wann er zurückkommt. Vielleicht wollen Sie ihm ja eine Mahlzeit zubereiten oder irgendetwas Ähnliches.«
Die Blicke der Haushälterin wanderten gehetzt durch den Raum, sie stand spürbar unter Stress. Dennoch gelobte sie, sich den Vorgaben gemäß zu verhalten.
Draußen ließ Descho seine Kollegen die umgebenden Straßen durchforsten. Der schwarze BMW Sebastian Embergers blieb unauffindbar.
So begannen die wahren Probleme.
*
Lily versuchte sich kurz an das letzte Verhör zu erinnern, das sie geführt hatte. Sie hatte sich vorher konzentrieren wollen, doch das Gespräch mit Belonoz hatte sie abgelenkt. Nachdem er sie zum Verhörraum begleitet hatte, war auch diese kurze Gelegenheit ungenutzt verstrichen.
Doch war es vielleicht besser so. Nämlich einfach ins kalte Wasser zu springen. Und nicht an alte Zeiten zu denken. Als alles anders gewesen war.
Sie setzte sich an den von oben beleuchteten Tisch. Kovacs hatte im Raum Stellung bezogen. Es herrschte zunächst vollkommene Stille.
Lily gab ein Zeichen, und Kovacs stellte die Videokamera an.
»Persönliche Vernehmung von Herrn Stefan Horvath«, begann Lily zu sprechen. »Es ist neunzehn Uhr sechsundzwanzig. Ich bin Staatsanwältin Lily Horn.«
Sie richtete ihren Blick auf den Mann. Zwar hatte sie ihn schon zuvor gesehen, als er von Belonoz festgenommen worden war. Nur, gesprochen hatte sie noch nicht mit ihm.
»Herr Horvath, machen wir es kurz, das ist für alle Beteiligten das Beste«, sagte Lily und konzentrierte sich auf den vor ihr stehenden Laptop. »Sie wurden heute nachmittag von Major Belonoz, dem Leiter der Wiener Mordkommission, festgenommen. Der Anlass war purer Zufall. Sie haben die Wohnung einer jungen Frau mit technischen Hilfsmitteln beobachtet. Diese junge Frau ist ermordet aufgefunden worden. Die Wohnung der Ermordeten liegt in derselben Straße wie Ihre eigene Wohnung, und zwar genau gegenüber. Major Belonoz hat Gefahr in Verzug vermutet, daher ist er in Ihre Wohnung eingedrungen. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich in Ihrem Besitz diverse technische Vorrichtungen befinden, die dazu geeignet sind, die Intimsphäre anderer Menschen zu verletzen. An der Auswertung der von Ihnen angefertigten Bild- und Tonaufnahmen wird noch gearbeitet.«
Lily blickte wieder auf und sah direkt in die großen Augen Stefan Horvaths, die unruhig das Geschehen verfolgten. Horvath war dick, der Bauch wölbte sich über die Trainingshose, die er trug. Er wirkte wie jemand, der aus seinem vertrauten, gemütlichen Zuhause in eine fremde Welt katapultiert worden war.
»Herr Horvath, stimmen Sie dem zu oder möchten Sie dazu keine Aussage machen? Das ist Ihr Recht, Sie dürfen es in Anspruch nehmen.«
Stefan Horvath nickte leise.
»Bitte antworten Sie jeweils klar und deutlich«, sagte Lily. »Selbstverständlich können Sie eine Antwort verweigern. Und auf Ihren Anwalt warten. Das ist Ihnen schon gesagt worden, aber ich möchte das zu Ihrer Sicherheit wiederholen. Übrigens … wo ist denn eigentlich Ihr Anwalt?«
»Er … er muss bald eintreffen. Er hat mir gesagt, dass … dass er sehr beschäftigt ist, aber … er … wird kommen. Ganz sicher. Er hat es mir versprochen. Wir müssen nur warten.«
Lily nickte. Stefan Horvath wirkte wenig selbstbewusst. Seine Stimme klang fahl und zittrig.
Kurz hatte Lily sich gefragt, ob in Horvaths Blicken Angst zu entdecken war. Jedoch war sie zur Auffassung gelangt, dass in diesen Augen gar nichts zu lesen war. Sie waren einfach nur groß und leicht aufgerissen und starrten ausdruckslos in die Welt.
»Wie alt sind
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