Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
Vom Netzwerk:
wahrscheinlichen Wahltermin im Spätherbst wird das reichen.«
    Aber Stotz sei in Wien noch immer beliebt, wandte der Mann in der Leitung ein, möglicherweise werde es ihm gelingen, alle Schuld auf andere abzuwälzen …
    »Keine Chance«, sagte Marina Lohner gelassen. »Berti wird nichts mehr tun können. Ich kenne seine größte Schwäche. Ich habe alles, was ich brauche.«
    Sie sah, dass sich der Chauffeur dem Fahrzeug näherte, und beendete das Telefonat. Der Fahrer stieg ein, der Audi entschwand in Richtung Rathaus.
    Wenige Meter entfernt von der Halteverbotszone nahm ein Mann die Stöpsel aus den Ohren, klappte ein aktenkoffergroßes Gerät zu und verstaute es auf der hinteren Sitzbank des in einer Hauseinfahrt geparkten Renault Espace.
    Gewiss hatten die extrem dunkel getönten Scheiben des Mercedes’ die Sicht eingeschränkt. Aber alles war zu verstehen gewesen. Jedes Wort, jede Silbe. Als hätte die Vizebürgermeisterin direkt neben ihm Platz genommen.

10
    »Stand der Dinge ist also, dass wir gleich zwei Pisten haben«, sagte Major Belonoz und trank einen Schluck von seiner Melange. »Zuerst wochenlang gar nichts, und jetzt das.«
    Lily meinte, sich verhört zu haben.
    » Pisten ?«, fragte sie.
    Es war kurz nach achtzehn Uhr, das Büro des Majors in der Kriminaldirektion war in das milde Licht des späten Nachmittags getaucht.
    »Sorry, ein Spezialausdruck von mir«, erklärte der Major, ohne Lily anzusehen. »Meine Truppe ist das gewohnt …«
    »Alles klar«, sagte sie, »aber wo haben Sie denn das her, Herr Major.«
    »Na ja, das hab ich mir in Mailand angewöhnt, als ich dort zwei Monate lang als Verbindungsmann zur Digos gearbeitet habe. Mein Kollege Casoni hat immer von pista gesprochen, wenn es um unsere damalige Spur gegangen ist. Dauernd war die Rede davon, pista hier, pista dort. Auf Deutsch bedeutet das wortwörtlich Schiene. Und ich sage jetzt halt Piste , das klingt nach Skifahren und Nichtstun.«
    »Sie waren zwei Monate in Mailand?«
    »Zum Einkaufen bin ich damals nicht gekommen, Frau Doktor Horn. Aber das Essen … Risotto, wie es sein soll. Unter anderem.«
    »Entschuldigen Sie, aber wo waren Sie … bei der Di …?«
    »Bei der Digos . Das ist eine Abteilung der Polizia di Stato . Die Digos kümmert sich um Terrorismus, Waffenhandel, Erpressung, organisierte Kriminalität und andere Dinge, die zu einem schönen Leben gehören.«
    »Und was haben Sie dort gemacht?«
    »Gearbeitet, Frau Staatsanwältin. Wir haben damals in Wien mit einem … Aber mit Ihrer geschätzten Erlaubnis erzähle ich Ihnen das ein anderes Mal, Frau Doktor. So lustig war die ganze Sache gar nicht, und eigentlich haben wir jetzt genug Sorgen. Casoni war übrigens ein Fan der k.u.k. Monarchie. Zuerst habe ich geglaubt, er macht Witze. Nämlich wegen mir. Aber dann habe ich gelernt, dass das keine Seltenheit in Norditalien ist.«
    »Sprechen Sie ein bisschen Italienisch?«
    »Durch meine Mutter«, sagte Belonoz, und sein Blick wanderte ins Leere. »Bei Verwandten in Triest habe ich die Sprache gelernt, wenn ich im Sommer dort auf Besuch war. Mein Vater dagegen hat böhmische Wurzeln … Sie sehen, ich bin ein echter Österreicher. Das reinste Völkergemisch.«
    Instinktiv begriff Lily, was Belonoz damit ausdrücken wollte. Dass er nicht bloß der Einzelgänger war. Sondern Wurzeln hatte, irgendwohin gehörte. Dass er ein Recht hatte, hier zu sein und in Wien als Kriminalpolizist zu arbeiten. Und dass ihm damals, als die Vorgesetzten ihn gemobbt hatten, Unrecht angetan worden war.
    »Wie ist das also mit den Pisten?«, kam Lily auf das eigentliche Thema zurück.
    »Einerseits der Voyeur.«
    »Wie haben Sie ihn entdeckt?«
    »Eigentlich habe ich mit einem Pressefotografen oder Fernsehkameramann gerechnet. Man kennt ja die Bilder, wo Spurensicherer in ihren Overalls am Tatort herumstochern.«
    »Wann haben Sie gemerkt, dass es nicht jemand von den Medien ist?«
    »Erinnern Sie sich an die Wohnung. Da gibt es keine Vorhänge und keine Jalousien. Offenbar hat die Ermordete das nicht gebraucht. Oder nicht gewollt.«
    »Ja«, sagte Lily, »das ist mir auch aufgefallen. Man ist in der Wohnung den Blicken von draußen beinahe schutzlos ausgeliefert. Nur wenn man …«
    »Genau, wenn man die Rollläden runterlässt, die außen an den Fenstern angebracht sind«, setzte Belonoz fort. »Aber in den eigenen vier Wänden werden die Leute rasch nachlässig. Oder man will bewusst den Blick nach draußen haben, weil man sich sonst

Weitere Kostenlose Bücher