Maedchenauge
haben. Damit unsere Tochter möglichst gut in der Zeitung ausschaut, haben sie gesagt. Können Sie sich vorstellen, dass jemand so etwas sagt? In der Nacht auf Montag, als Ihr Polizist, dieser … Descho, weg war, sind sie aufgetaucht und haben sich vor unserem Haus herumgetrieben. Regelrecht belagert haben sie uns, diese Hurensöhne.«
Seine Frau wandte sich ihm beruhigend zu. »Reg dich nicht so auf.«
»Aber weil’s doch wahr ist! Das kann die Frau Doktor ruhig hören, oder stört Sie meine Ausdrucksweise?«
Lily sah ihn freundlich an und bemühte sich um einen sanften Tonfall. »Sagen Sie, was immer Sie möchten.«
Herbert Karner verfiel wieder in eisiges Schweigen.
Immerhin ist ein wenig Leben in die düstere Bude gekommen, dachte Lily.
»Ich hab mit dem Herrn Descho über unser Problem mit den Zeitungsleuten geredet«, sagte Margit Karner. »Er hat sofort geholfen. Einen Polizisten hat er uns vors Haus gestellt, und seitdem ist Ruhe.«
»Das freut mich. Und sollten Sie noch irgendetwas benötigen, sagen Sie es mir bitte.«
Frau Karner zögerte ein wenig. »Es ist nur so … was uns interessiert, ist natürlich, ob … ob der Sebastian wirklich … ich meine … ich kann mir das nicht vorstellen, aber war er wirklich …?«
Sie brach ab.
Lily vollendete den Satz. »Ob er wirklich der Mörder war?«
»Ja, Frau Doktor, genau das ist es. Das beschäftigt meinen Mann und mich sehr.«
»Das kann ich nachvollziehen. Ich gebe Ihnen mein Versprechen, dass Sie von mir alle Informationen erhalten. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer es war. Und Sie werden verstehen, dass ich hier sehr genau vorgehe und keine Fehler machen will. Es geht um den echten Täter, nicht um schnelle Lösungen. Vier Morde sind eine komplizierte Sache, man muss alles genau untersuchen. Haben Sie Sebastian gut gekannt?«
»Schon, natürlich. Er war ein lieber Bursch, wenn man ihn näher kennengelernt hat. Sehr höflich und freundlich und … er hat sich wunderbar mit der Lena verstanden.«
Der Vater hob seinen Blick vom Boden, die Augen waren von entsetzlicher Leere. Umso entschiedener klangen seine Worte. »Wir haben geglaubt, aus den beiden wird etwas. Nämlich nicht nur so eine … eine Beziehung , wie man das heute nennt. Sondern etwas Ernstes. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Selbstverständlich, Herr Karner. Wie ist es eigentlich zu der Krise zwischen den beiden gekommen? Sie haben sich getrennt und …«
»Aber das waren seine Eltern«, unterbrach Herr Karner temperamentvoll. »Denen war die Lena … wir waren ihnen nicht gut genug. Die haben eine bessere Partie für ihn gewollt. So sind sie, die Menschen mit viel Geld. Die mögen andere Leute nur, wenn die auch viel Geld haben.«
Frau Karner wollte ihren Mann beruhigen. Sie legte ihre Hand auf die seine und lächelte nervös. »Was redest du denn da?«
»Ja stimmt denn das nicht, was ich erzähle? Denen waren wir zu minder. Aus dem Grund haben sie ihn halt gedrängt, andere Mädchen zu treffen. Da war natürlich bald der Wurm drinnen. Das hat die Lena nicht wollen. Wobei auch …«
»Aber lass doch um Himmels willen wenigstens die Lena in Ruhe.«
»Es ist doch wahr. Die Lena war das beste Mädel der Welt, aber sie war … ganz nach der Mutter geraten. Sehr katholisch, verstehen Sie, was ich meine, Frau Doktor?«
Lily nickte stumm und begriff sofort den Zwist zwischen den beiden. Der Tod der Tochter drohte, diesen zu vertiefen.
»Sie war viel zu katholisch. Dabei hab ich dir immer gesagt, dass du sie nicht so erziehen sollst. Oder beleidige ich Sie jetzt, Frau Doktor? Sind Sie vielleicht auch streng katholisch?«
»Nein, reden Sie ruhig. Und ich bin übrigens nicht katholisch.«
»Ist auch besser so. Dieses Gerede von den Sünden … was die Pfaffen halt so erzählen, wenn der Tag lang ist! Das war in der Lena leider drin. Und statt dass sie dem Sebastian stärker entgegenkommt und ihn einfängt, hat sie sich völlig zurückgezogen. Sie hat das scheue Reh gespielt. Wie die Pfarrer es mögen bei den jungen Mädchen.«
Herbert Karner hatte sich in Rage geredet. Seine Frau saß stumm da und blickte ins Leere.
»Man muss wissen, was man will, und dann versuchen, das auch zu erreichen. Viel zu brav war die Lena. Das hat dem Sebastian nicht genügt, das muss man schon verstehen … Ein Mann will, dass eine Frau auch etwas Wildes an sich hat. Immer nur brav und katholisch und sittsam ist fad.«
Lily fragte sich, ob jemals etwas Wildes an Frau Karner gewesen war.
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