Maedchenauge
blieb höflich distanziert. »Aber selbstverständlich. Dennoch sind Ihre Fragen, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, nicht ganz … wie auch immer. Ich glaube ganz einfach, dass Selma hier vom Schicksal getroffen worden ist. Dieses Schicksal hat es oft sehr gut mit ihr gemeint. Sie war enorm begabt.«
Seine Frau pflichtete ihm bei. »Wirklich wahnsinnig talentiert war sie.«
»Nun hat das Schicksal es gewollt, dass geschehen ist, was eben geschehen ist. Es ist sinnlos, dagegen zu opponieren.«
Lily versuchte es mit Fragen zu Selma Jordis’ Freundes- und Bekanntenkreis. Doch viel kam nicht dabei heraus. Erneut zeigte sich, dass Selma eine Einzelgängerin gewesen sein musste, völlig fokussiert auf ihren Traum von einer Existenz als Designerin und Künstlerin. Dabei hatte sie sich von niemandem ablenken lassen wollen.
Ob sie nicht auch verliebt gewesen sei und Beziehungen zu Männern gehabt habe, schließlich sei eine künstlerische Hochschule doch ein gutes Terrain, um interessante Leute kennenzulernen? Das sei alles richtig, stellte der Vater fest, doch Selma habe sich als hochbegabte Solistin begriffen, die keinen Mann an ihrer Seite nötig gehabt hatte. Verliebt sei sie wohl auch gewesen, das sei etwas Menschliches, aber etwas Ernstes sei daraus jedenfalls nie entstanden. Und die Mutter nickte dazu freundlich, die Äußerungen ihres Mannes bestätigend.
»Dann darf ich Sie noch bitten, sich das anzusehen«, sagte Lily und reichte ihnen die Phantombilder. »Sagen Ihnen diese Gesichter etwas? Kennen Sie zufällig jemanden, der so aussieht und sich eventuell im Umkreis von Selma befunden hat?«
Herr und Frau Jordis studierten die Bilder mit Sorgfalt. Ihre Mienen blieben ausdruckslos.
Der Generaldirektor schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider kann ich dazu nichts sagen, ich kenne keine Person, die dem entsprechen würde, was ich da sehe.«
»Ich muss ebenfalls passen«, sagte Barbara Jordis sofort. »Wer soll das sein?«
Lily legte die Phantombilder zu ihren Unterlagen. »Reine Routine, machen Sie sich keine Gedanken. Kennen Sie übrigens einen Tom oder eine Nicole , die sich in Selmas Umfeld aufgehalten haben könnten?«
Lily erntete ratlose Blicke. Nur in diesen Momenten war ersichtlich, dass das Ehepaar aus zwei echten Menschen bestand, und nicht aus Zombies.
Der Vater war schließlich ganz eindeutig. »Diese Namen sagen mir gar nichts. Und dir, Barbara?«
»Mir geht es genauso. Was für Leute sollen das sein?«
»Das sind zwei Personen, die vielleicht mit ihrer Tochter bekannt waren«, sagte Lily. »Eventuell sogar gut befreundet.«
Das Ehepaar verharrte in ausdrucksloser Starre. Nichts von dem, was jemals außerhalb ihres Horizonts gewesen war, spielte für sie nur die geringste Rolle.
Aber immerhin klang Barbara Jordis’ Stimme matter als bisher. »Von denen habe ich nie gehört. Selma hat mir eigentlich immer alles erzählt. Da hätte sie die zwei doch erwähnt. Möglicherweise liegt da eine Verwechslung vor. Oder ein Irrtum.«
»Irrtümer kann man natürlich nie ausschließen«, sagte Lily. »Jedenfalls möchte ich Sie bitten, sich umgehend bei mir zu melden, falls Ihnen doch noch etwas dazu einfallen sollte.«
Der Abschied vom Ehepaar Jordis ging höflich und rasch vonstatten. Lily ging zum Fenster und öffnete es. Von draußen kam warme, frische Luft herein. Der Straßenverkehr, der sie sonst so oft störte, irritierte sie diesmal überhaupt nicht. Sie empfand ihn vielmehr als Ausdruck einer Lebendigkeit, die sie in der letzten Stunde vermisst hatte.
Oberflächlich betrachtet hatte sich aus den Gesprächen nichts Neues ergeben. Um mehr über Selma Jordis und die beiden Unbekannten herauszufinden, konnte man nicht auf das elegant-distinguierte Paar aus der Welt des Spitzenmanagements setzen. Da mussten die üblichen polizeilichen Methoden zu besseren Informationen führen.
Doch Lily hatte das Gefühl, der Wahrheit über den Tod Magdalena Karners nahegekommen zu sein. So nahe, dass sie, als sie an das Gespräch mit den beiden Leuten aus Salzburg zurückdachte, diese Wahrheit einen Moment lang beinahe mit Händen greifen zu können vermeint hatte.
So rasch, wie sie gekommen war, löste sich diese Ahnung wieder auf. Zurück blieben die Ungereimtheiten.
Da war das brave und katholische Mädchen, das sich nackt tanzend vor der Kamera eines Voyeurs produziert hatte. Und da war der Verdächtige, der vom Vater der Ermordeten in Schutz genommen worden war. Wenn es gelang, all dies zu einem
Weitere Kostenlose Bücher