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Maedchengrab

Maedchengrab

Titel: Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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vorüberziehenden Einkaufslustigen an. Glasgow war nicht sein Pflaster. Im Vergleich zu Edinburgh war es viel zu zersiedelt. Solange er sich an ein halbes Dutzend Straßen hielt, fand er sich zurecht; außerhalb dieses Radius aber verirrte er sich.
    Es dauerte gut fünf Minuten, bis sie hereinkam. Sie setzte sich auf den Hocker neben ihm.
    »Ich musste erst sicher sein, dass sie nicht dabei ist«, erklärte sie.
    Rebus betrachtete sie. Sie trug die Haare kurz geschnitten und gebleicht, die Augenbrauen waren so stark gezupft, dass sie fast nicht mehr vorhanden waren. Aber Augen und Wangenknochen waren noch immer die ihrer Mutter.
    »Im Lauf der Jahre haben Sie richtig Übung darin bekommen«, sagte Rebus und starrte Sally Hazlitt in die Augen.
    »Nicht genug«, gab sie unwirsch zurück.
    »Das digital bearbeitete Foto hat allerdings eine gewisse Ähnlichkeit – kein Wunder, dass Sie in Panik gerieten.« Er hielt inne.
    »Soll ich Sie Sally oder Susie nennen, oder haben Sie sich schon wieder einen neuen Namen zugelegt?«
    Sie starrte ihn an. »Nina erwähnt Sie andauernd in den Nachrichten. Dann habe ich das Bild von Ihnen mit ihr zusammen gesehen …«
    »Und?«
    »Jemand muss ihr sagen, dass sie damit aufhören soll.«
    »Aufhören, nach Ihnen zu suchen, oder aufhören zu glauben, Sie seien einem Mord zum Opfer gefallen?«
    Sie sah ihm geradeaus in die Augen. »Beides.«
    » Warum sagen Sie ihr das nicht selbst?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall.«
    »Dann sagen Sie mir, warum Sie das getan haben.« Rebus führte den Kaffee an den Mund.
    »Erst müssen Sie mir etwas sagen – warum macht sie das, was glauben Sie?«
    »Sie ist Ihre Mutter. Warum sonst?«
    Aber Sally Hazlitt schüttelte erneut den Kopf. »Hat sie Ihnen von unserem Leben erzählt?«
    Rebus dachte einen Augenblick nach. »Ihre Mutter und Ihr Vater waren Lehrer. Sie lebten in London …«
    »Mehr wissen Sie nicht?«
    »Crouch End, hat sie gesagt – eine schönere Gegend, als sie sich eigentlich hätten leisten können. Aber eine Verwandte hat ihnen wohl etwas hinterlassen.« Er hielt inne. »Ihre Mutter wohnt übrigens noch in dem Haus, zusammen mit Ihrem Onkel Alfie. Ihr Vater hat Ihnen Geschichten vorgelesen, als Sie klein waren.« Er machte eine Pause, ohne den Blick abzuwenden. »Sie wissen, dass er tot ist?«
    Sie nickte. »Gut so.« Und endlich glaubte Rebus zu verstehen. »Er wollte mir so einiges beibringen«, fuhr sie vielsagend fort. »Viel zu viel.«
    Stille lag zwischen ihnen, bis Rebus das Schweigen brach, seine Stimme war jetzt sanfter.
    »Haben Sie es Ihrer Mutter damals gesagt?«
    »Das musste ich nicht – sie hat es sowieso gewusst. Das ist der Grund, weshalb sie sich vergewissern will, ob es mich noch gibt. Wenn ja, könnte ich immer noch was ausplaudern.« Sie blickte zu Boden, ihre Augen glänzten.
    » Warum haben Sie bis Aviemore gewartet?«
    Sie brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. »Ich wusste, dass ich nicht Englisch an der Universität studieren wollte – das war immer schon seine Vorstellung gewesen. Je länger wir alle in dem Ferienhaus in Aviemore zusammensaßen, über die Zukunft redeten, umso genauer wusste ich, dass ich es ihm nicht ins Gesicht sagen konnte …«
    Rebus nickte zum Zeichen, dass er verstand.
    »Zu dem Zeitpunkt … hatte er schon aufgehört. Er hat aufgehört, als ich vierzehn war.« Sie räusperte sich. »Klingt verrückt, aber damals dachte ich noch, es sei meine Schuld, und das machte es irgendwie noch schlimmer. Ständig dachte ich darüber nach, wie ich ihn bestrafen konnte, und in jener Nacht am 31. Dezember hatte ich mir genug Mut angetrunken – vor allem mit Gin. Plötzlich kam mir alles so viel leichter vor, als ich hunderte von Meilen von ihnen entfernt an einem fremden Ort war .«
    »Aber als Sie erfuhren, dass er tot war …«
    »Da war es schon zu spät. Ich wusste, dass ich nicht zurückgehen würde.«
    »Es kann aber doch keinen Spaß machen, ständig mit der Angst vor Entdeckung leben zu müssen.«
    »Deshalb müssen Sie ihr ja sagen, dass sie damit aufhören soll. Ich lebe, mir geht’s gut, und ich möchte sie nie wiedersehen und nie wieder mit ihr sprechen.«
    »Es wäre viel leichter, wenn Sie ihr das selbst sagen würden.«
    »Nicht für mich.« Sie glitt von dem Hocker und stellte sich vor ihn.
    »Also, sagen Sie’s ihr?«
    Rebus blies die Wangen auf. »Sind Sie sicher, dass Sie dieses Leben wollen?«
    »Es ist das einzige, das ich habe.« Sie zuckte

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