Maedchengrab
schnappte sich die Tüte von seinem Schreibtisch, schob sich an Rebus vorbei und stampfte den Gang entlang. Robison kam zurück.
»Das war’s dann wohl«, sagte sie. Erst da fiel ihr auf, dass Bliss bereits gegangen war.
»Er musste schnell weg«, entschuldigte ihn Rebus. Sie versuchte ihn böse anzusehen, aber es gelang ihr nicht. Sie umarmten sich, und sie gab ihm ein Küsschen auf die Wange.
»Auf zu neuen Ufern«, sagte sie und tätschelte ihm den Arm. Rebus zog die Tür hinter ihnen zu.
Am selben Abend, nachdem er einen über den Durst getrunken hatte, machte er den üblichen Anruf. Am anderen Ende der Leitung klingelte und klingelte es, bis eine Automatenstimme ihn aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen.
» Wir müssen reden, Gregor. Das wissen Sie. Es muss ein Ende haben.« Dann wiederholte er seine Telefonummer und legte auf. Bei den ersten halben Dutzend Versuchen war Magrath tatsächlich selbst drangegangen, hatte aber aufgelegt, sobald er Rebus’ Stimme hörte. Später war nur noch der Anrufbeantworter drangegangen.
Rebus betrachtete sein Spiegelbild im Wohnzimmerfenster. »Freitagabend in der großen Stadt, hm?«, sagte er zu sich selbst, während der Regen gegen die Scheiben prasselte. Die Kopien der Vermisstenakten lagen immer noch auf dem Esstisch, er zog einen Stuhl heran und setzte sich davor. Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft würde er sich in der Lage fühlen, sie wegzuwerfen, aber jetzt noch nicht. Bislang hatte man nichts gefunden, das bewies, dass sich Kenny Magrath in der Nähe der anderen Frauen befunden hatte, als sie verschwanden. Magraths Aufzeichnungen hatten sich als unvollständig entpuppt, aber wer führte schon lückenlos Buch über das eigene Leben? Magrath hatte kein Tagebuch, keinen Kalender und keine Notizbücher, seine Frau ebenso wenig. Rebus griff nach der Bierflasche und nahm einen Schluck. Seine Hand lag auf einem Brief, der bereits seit ein paar Tagen dort auf ihn wartete, eine Einladung zum Vorstellungsgespräch beim Bewerbungsausschuss der Lothian and Borders Police. Es gab einen Termin für seinen medizinischen Check-up, außerdem einen Antrag, der ausgefüllt und unterschrieben zurückgeschickt werden musste. Rebus las ihn zum zigsten Mal durch und rieb das Plektrum zwischen seinen Fingern.
»Hätte ich damals doch bloß die Scheißgitarre gekauft«, brummte er vor sich hin, dann ging er einen Stift suchen.
Caffertys Haus war ein viktorianisches Landhaus in einer begrünten Seitenstraße der Colinton Road. Das Grundstück war einen Viertel Hektar groß, sogar eine Remise gab es. Meist zog sich Cafferty in sein Arbeitszimmer mit Blick auf den Garten hinter dem Haus zurück. Dort stand ein großer alter Sessel, den er besaß, seit er Mitte zwanzig war. Hier saß er, las Bücher und dachte nach. Heute dachte er über Darryl Christie nach. Christie hatte ihn zu Annettes Beerdigung eingeladen. Cafferty war pflichtschuldigst in der Kapelle erschienen, und bei der Gelegenheit war ihm nicht entgangen, dass der junge Mann Verstärkung mitgebracht hatte – ein halbes Dutzend Gesichter, die Cafferty nicht kannte. Jung, aber knallhart – möglicherweise ehemalige Armeeangehörige, zurückgekehrt aus dem Irak oder aus Afghanistan. Sie standen abseits der Phalanx der Trauernden und folgten in einigem Abstand, während sich der Trauerzug zur Grabstelle bewegte. Darryl und seine beiden jüngeren Brüder fungierten gemeinsam mit drei weiteren Männern als Sargträger.
Kein Frank Hammell. Kein Derek Christie. Die Polizistin aus dem Norden war da. Cafferty wusste nicht, wie sie hieß, aber er hatte sie im Fernsehen gesehen. Er hatte damit gerechnet, vielleicht auch Rebus zu begegnen, aber der ließ sich nicht blicken. Einer der durchtrainierten jungen Männer hatte sich zwischen den Trauernden hindurchgedrängt, kam auf Cafferty zu, beugte sich zu ihm hinunter und raunte ihm ins Ohr: »Mr Christie würde gerne mit Ihnen sprechen, bevor Sie gehen.« Also war Cafferty geblieben, hatte zugesehen, wie sich die Gäste für den Leichenschmaus bereit machten. Darryl hatte seiner Mutter in die Limousine geholfen, ihr ein Küsschen auf die Wange gegeben und die Tür zugeschlagen. Dann hatte er Jackett und Krawatte gerichtet und war auf Cafferty zugegangen. Cafferty hatte ihm eine Hand entgegengestreckt, was Christie jedoch ignorierte.
»Kommst du klar?«, hatte Cafferty der Höflichkeit halber gefragt.
»Das ist nicht die Frage, die Ihnen unter den Nägeln brennt.«
»Na
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