Maedchengrab
Rebus hob eine Augenbraue. »Normalerweise gibt’s so jemanden doch immer.«
»Hier gibt’s kaum eine Familie, der Kenny Magrath nicht irgendwann mal geholfen hat.«
»Da bin ich sicher, trotzdem …«
Aber die Frau schüttelte resolut den Kopf.
»Sie halten also schön zusammen und schützen die eigenen Leute, ja?« Rebus’ Tonfall war barsch geworden. Sie legte die Stirn in Falten und machte einen Schritt zurück in der Absicht, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
»Hat Ihnen Gregor zufällig seine neue Nummer gegeben …?«
Die einzige Antwort, die er erhielt, war das Klicken der Tür, als diese ins Schloss fiel. » War nett, mit Ihnen zu plaudern«, brummte er, kehrte zu Magraths Cottage zurück und hämmerte erneut gegen die Tür.
Es hatte wieder zu regnen begonnen – dichter Eisregen klatschte ihm auf Schultern und Rücken. Er rannte zum Saab zurück und blieb darin sitzen, wartete das Ende des Unwetters ab. Der Himmel war beinahe schwarz, und er schaltete den Scheibenwischer ein, jetzt kamen Hagelkörner herunter, hüpften auf der Straße und bedeckten sie mit einer weißen Schicht. Rebus ließ den Motor an, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zirka zwanzig Meter die Straße zurück, bis er direkt draußen vor Kenny Magraths Garten stand. Auch dieses Haus wirkte verlassen. Die Jalousien im oberen Stock waren geschlossen, und im Wintergarten brannte kein Licht. Die Windschutzscheibe beschlug, weshalb er das Gebläse einschaltete und sein Fenster zwei Zentimeter öffnete. Nach ein paar Minuten ließ der Hagel nach. Der Himmel war immer noch bleiern, aber es regnete nicht mehr, zurück blieb nur eine erdrückende Atmosphäre, als würde ein großes Gewicht auf dem Ort lasten. Rebus atmete tief durch und wischte sich den Schweiß von Stirn und Hals. Er nahm eine Zigarette aus dem Päckchen und merkte, dass seine Hände zitterten. Als ob es helfen könnte, presste er die Handflächen aneinander. Auch sein Herz schlug heftig.
»Noch nicht«, sagte er zu seinem Brustkorb und den Organen darin. »Jetzt noch nicht, okay?«
Dann fuhr er die Straße hinauf, bog links ein und stand auf der Vorderseite von Kenny Magraths Haus. Kein Transporter. Das Haus wirkte definitiv leer. Eine weitere kurze Fahrt zur Garage. Auch dort kein Transporter. Vielleicht arbeitete er ja auch samstags. Oder er hatte seine Frau überredet, ein bisschen Urlaub zu machen – und Bruder Gregor gleich mitgenommen. Eine schöne Gelegenheit, um die verschiedenen Versionen immer und immer wieder durchzugehen. Verdammt, vielleicht waren sie aber auch nur einkaufen gefahren, ein ganz gewöhnlicher Ausflug nach Inverness oder Dingwall. In der Presse waren, wenn auch nur für einen Tag, Fotos der beiden Brüder aufgetaucht. Wahrscheinlich mussten sie nicht fürchten, außerhalb ihres Wohnorts erkannt zu werden.
Rebus blieb sitzen, trommelte mit den Fingern. Er fragte sich, wie die anderen das Wochenende verbrachten. Kaufte Siobhan Clarke ein, oder war sie beim Fußball? Gönnte sich Daniel Cowan anlässlich seines neuen Jobs einen Anzug und ließ gerade dafür Maß nehmen? Plante Gillian Dempsey ein Familienessen, und gehörte vielleicht auch Neffe Raymond zu den Gästen? Die Supermärkte waren jetzt brechend voll, die Kinos machten sich bereit für den Ansturm der Massen. In Bars und Restaurants begann der Mittagstrubel, die Kreuzworträtsel waren gelöst, und in die Kofferräume der Kombis wurden Wanderstiefel geworfen. Skifahren, Bootfahren und Golf. Schwimmen und Wohnzimmerspiele. Kinder machten Hausaufgaben, Erwachsene Hausarbeit. An Autowaschanlagen und Tankstellen bildeten sich Schlangen. Jeder kümmerte sich um seinen Kram. Vielleicht reichte das Budget des Teams in Edderton ja sogar für Wochenendschichten. Aber was genau stand an? Weitere Vernehmungen, Schreibtischarbeit und Briefings? So etwas diente einzig und allein der Lohnaufbesserung …
» Was zum Teufel machst du hier, John?«, fragte er sich. Er fuhr zurück zu Gregor Magraths Cottage, schrieb eine Nachricht und klemmte den Zettel unter den Scheibenwischer des Landrover.
Darauf stand nur: Es muss aufhören.
Auf der Fahrt nach Hause fiel ihm auf, dass die Straßenarbeiten nördlich von Pitlochry offenbar abgeschlossen waren. Niemand arbeitete mehr dort – einer der Wohncontainer wurde gerade auf einen Sattelschlepper geladen, und die Dixiklos waren auch schon verschwunden. Er fragte sich, was wohl aus den Männern geworden war – ob neue Projekte auf sie
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