Maedchengrab
Tramperinnen mitgenommen, hab sie immer vor den Gefahren des Alleinreisens gewarnt. Damals gab es häufiger welche, aber ab und zu sieht man sie noch. Laurie musste mir versprechen, dass sie das niemals macht.« Er sah Rebus an. »Ich weiß, was Sie denken: Wir packen die Kinder in Watte. Ich bin früher selbst viel getrampt, eine Ewigkeit ist das her – und meine Frau auch –, aber heute ist das was anderes.«
» Wahrscheinlich haben Sie recht.«
»Glauben Sie, Sie werden das Arschloch schnappen?«
»Schwer zu sagen.«
»Und selbst wenn, die werden doch heutzutage im Gefängnis mit Samthandschuhen angefasst, oder?« Er hatte seine Zigarette fertig geraucht und trat sie jetzt mit dem Fuß aus. Rebus überlegte sich mögliche Antworten auf die Frage, aber der Vertreter schien gar keine zu erwarten. »Ich mach mich besser auf den Weg«, erklärte er. »In meinem Job verdiene ich nichts, wenn ich nicht in Bewegung bleibe.« Er grinste mit einem Mundvoll professionell gebleichter Zähne. »Und meine Lösungen verkaufen sich nicht von allein.«
Die beiden Männer gaben sich die Hand und kehrten jeweils zu ihren Fahrzeugen zurück. Rebus sah den Vertreter mit einem Winken aus dem offenen Fenster davonfahren. Er war Richtung Norden unterwegs. Sechs oder sieben Tage pro Woche hielt er sich in einer höchst unbeständigen Welt auf, die ihm aber dauerhaft erschien, einer Welt der Raststätten-Sandwiches und Tankstellenstopps. Er lernte jede Straße sehr genau kennen, merkte sich Abkürzungen, fand Möglichkeiten, Staus zu umfahren, und lernte andere Menschen kennen, deren Alltag ähnlich aussah wie seiner, mit ihnen tauschte er Tipps, wo es das beste Fast Food gab, das billigste Benzin, die saubersten Toiletten. Rebus hatte Straßen immer für schlichte, stumme Dinge gehalten, aber jetzt wusste er es besser – auch sie besaßen ihren individuellen Charakter und Schwachstellen. Sie pulsierten vor Leben. Er blieb auf dem Tankstellengelände, zog sein Handy aus der Tasche und gab Samanthas Nummer ein.
»Ich bin’s«, sagte er, als sie sich meldete.
»Hi, Dad.«
»Kannst du reden?«
»Außer faulenzen hab ich dieses Wochenende nichts vor.«
»Du Glückliche. Ich hab gedacht, ich ruf mal an und frage, wie’s dir geht.« Er lehnte sich an die Kopfstütze, hielt sich das Telefon dichter ans Ohr und freute sich einfach nur, ihre Stimme zu hören.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Ich meine …«
» Was?«
»Sieht dir nicht ähnlich anzurufen.«
»Das heißt nicht, dass ich nicht an dich denke, Samantha. Ich denke sehr oft an dich.«
»Mir geht’s gut.«
»Ich weiß.«
»Und du? Bist du bei der Jagd nach dem Irren weitergekommen?«
»Das werde ich ständig gefragt.« Er erinnerte sich an die Worte des Handelsvertreters: Wenn man unterwegs ist, hat man immer ein Ziel und weiß, irgendwie wird man es erreichen, so oder so …
»Und was antwortest du ihnen?«
»Meinst du wirklich, dass es ein Irrer ist?«
»Muss er doch sein.«
»Manchmal lässt sich das schwer sagen.«
»Mir läuft’s kalt über den Rücken, wenn ich dran denke, dass der immer noch da draußen rumläuft. In ein paar Tagen hab ich einen Termin in Inverness zur künstlichen Befruchtung. Ich hab Keith gesagt, dass ich nicht ohne ihn fahre.«
» Wird schon nichts passieren.«
»Du hast gut reden.«
» Wahrscheinlich. Sagst du mir, wie’s in der Klinik gelaufen ist?«
»Na klar.«
»Und vielleicht überlegst du dir mal, ein Wochenende mit Keith in Edinburgh zu verbringen. Ich kann euch ein Hotel suchen – ich bezahl’s auch.«
»Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Nicht so frech, junge Frau.«
Ihr Lachen klingelte ihm in den Ohren …
66
An jenem Abend traf er Cafferty im Tannery.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte er und holte Getränke, bevor er sich für einen Tisch entschied.
»Ist das deine Art, dich zu entschuldigen?«, fragte Cafferty.
» Wieso entschuldigen?«
»Als wir das letzte Mal hier waren, warst du alles andere als freundlich.«
»So kann man’s auch sehen.«
»Und?«
»Du willst mir doch nicht weismachen, dass ich deine Gefühle verletzt habe?«
Cafferty rang sich ein schmallippiges Lächeln ab. »Das vielleicht nicht«, gestand er. »Aber warum hast du mich sonst herbestellt?«
Rebus griff in die Tasche, faltete eine aus dem Scotsman herausgerissene Seite auseinander und breitete sie auf dem Tisch aus. Es war ein Bericht über Annette McKies Beerdigung, mitsamt Foto von einigen Trauergästen,
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