Maedchengrab
immer noch kein Ton. Ein Radio konnte er auch nicht entdecken. Er hätte aufstehen und sich die Pressekonferenz in seinem Wagen anhören können, aber das hätte vorausgesetzt, dass einer der Lokalsender sie übertrug. Stattdessen blieb er also sitzen und sah zu. Wer auch immer die Kamera bediente, hätte sicher von einer Gebrauchsanweisung oder einem Besuch beim Optiker profitiert. Die Schärfe stimmte nicht, und man sah mehr vom Tisch als von den Leuten, die dahintersaßen. Manche standen auch. Page wurde von Siobhan Clarke und einem Detective Constable namens Ronnie Ogilvie flankiert. Hinter Annette McKies Mutter und dem ältesten ihrer Brüder stand ein Mann, den Rebus halbwegs kannte. Der Mann drückte der Mutter die Schulter, immer wenn er spürte, dass sie kurz davor war wegzu sacken. Einmal legte sie ihre Hand auf seine, als wollte sie sich bedanken. Annettes Bruder ergriff ebenfalls das Wort und las ein vorbereitetes Statement ab. Er wirkte einigermaßen selbstbewusst, blickte in den Raum und gab den Fotografen reichlich Gelegenheit, Aufnahmen zu machen, während sich seine Mutter die Tränen von den geröteten Augen tupfte. Rebus wusste nicht, wie der junge Mann hieß, er schätzte ihn auf siebzehn oder achtzehn: kurze Haare vorn spitz hochgegelt, Aknespuren im Gesicht. Er war blass, hager und gewitzt. Aber jetzt bewegte sich das Kamerabild. Page war an der Reihe. Anscheinend war er bereit – beinahe darauf versessen –, Fragen entgegenzunehmen. Nach ein paar Minuten kam es jedoch zu einer Unterbrechung, Page wandte sich nach links. Die Kamera fing Annette McKies Mutter ein, die aus dem Raum stürzte, die Hand vor den Mund geschlagen, entweder von Trauer überwältigt oder kurz davor, sich zu übergeben. Der Mann ging ihr hinterher, ließ den Sohn an seinem Platz zurück. Dieser sah Page an, als suche er Rat: Sollte er bleiben oder gehen? Die Kamera schwenkte durch den Raum, fing andere Kameras ein, Journalisten, Detectives. Die Doppeltür war hinter der Mutter zugeschlagen.
Die Kamera zeigte den gemusterten Teppichboden.
Dann wurde der Bildschirm schwarz.
Rebus blieb, wo er war, bis das Team allmählich wieder im Büro eintrudelte. Ogilvie sah Rebus und schüttelte den Kopf, ersparte sich aber jeden Kommentar. Page wirkte verärgert darüber, dass sein Auftritt abgewürgt worden war – wenn die Fernsehnachrichten etwas herausgreifen würden, dann den Abgang der Mutter. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und verschwand in seinem Wandschrank. Clarke bahnte sich einen Weg zwischen den Schreibtischen hindurch, blieb nur einmal mit dem Fuß an einem verirrten Kabel hängen. Sie reichte Rebus einen Schoko riegel.
»Danke, Mama«, sagte er.
»Hast du’s gesehen?«
Er nickte. »Aber ohne Ton – hat Page die Handyfotos erwähnt?«
»Offenbar sind sie ihm nach dem Abgang der Mutter entfallen.« Sie wickelte ihren eigenen Schokoriegel aus und biss hinein.
» Wer war der Mann hinter ihr?«, fragte Rebus.
»Ein Freund der Familie.«
»Hat er die Belohnung ausgesetzt?«
Clarke sah ihn an. »Okay, spuck’s aus.«
»Ich hab noch gar nicht reingebissen.« Als er ihr damit kein Lächeln entlocken konnte, lenkte er ein. »Sein Name ist Frank Hammell. Ihm gehören zwei Pubs und mindestens ein Club.«
»Kennst du ihn?«
»Ich kenne seine Pubs.«
»Den Club nicht?«
»Der ist irgendwo draußen im Wilden Westen.«
»Soll heißen?«
» West Lothian.« Rebus nickte Richtung Bildschirm. »Ganz schön anhänglicher Typ …«
»Ist er sonst nicht so?«
»Nur, wenn er jemandem richtig nahesteht.«
Clarke kaute langsamer. Sie dachte nach. »Und was sagt uns das?«
»Dass wir vorsichtig sein sollten?«, erwiderte Rebus schließlich. » Wenn er der ›Freund‹ der Mutter ist, und sie ist ungehalten, dann kannst du drauf wetten, dass er’s auch ist.«
»Deshalb die Belohnung?«
» Wegen der offiziellen Belohnung mache ich mir keine Sorgen – eher wegen der, die er möglicherweise klammheimlich ausgesetzt hat.«
Clarke sah Richtung Pages Tür. »Meinst du, wir sollten ihm das sagen?«
»Das musst du entscheiden, Siobhan.« Während sie noch darüber nachdachte, stellte ihr Rebus eine weitere Frage. » Was ist noch mal aus Annettes Vater geworden?«
»Hat sich nach Australien abgesetzt.«
» Wie heißt er?«
»Derek irgendwie … Derek Christie.«
»Nicht McKie?«
»So heißt die Mutter – Gail McKie.«
Rebus nickte langsam. »Und der Junge auf der Pressekonferenz
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