Maedchenjagd
jetzt mit dir und Brooks? Nehmt ihr die Stelle in Kalifornien an? Ich gäbe alles dafür, aus diesem Loch hier rauszukommen. Wenn man in Florida aufgewachsen ist, kommt einem alles unter fünfzehn Grad vor wie im Kühlhaus.«
»Wir haben noch keine Antwort«, sagte Mary ausweichend. Sie hatte schon vor Monaten um die Versetzung gebeten, aber Adams weigerte sich, zuzustimmen, weil er angeblich nicht auf sie verzichten konnte. »Außerdem gibt es ein Problem mit der Mutter von Brooks.«
Weir neigte den Kopf zur Seite und grinste hämisch. »Ach ja, ihr zwei wollt ja eure Mütter zu einer Wohngemeinschaft bewegen. Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Ich wusste, das klappt niemals. Alte Frauen können sich nicht ausstehen.«
»Es ist ja keine gemeinsame Wohnung, Genna. Sie sollen mit uns im Haus wohnen, und es ist wirklich schön dort. Beide Mütter sind an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr allein leben können. Meine Mutter fährt seit einem Jahr nicht mehr Auto und ist dadurch richtig vereinsamt. Brooks’ Mutter geht es ähnlich. Statt sie in ein Altersheim zu stecken, was sie beide hassen würden, wollen wir jemanden anstellen, der sich zu Hause um sie kümmert, so dass sie möglichst unabhängig bleiben können. Die Pflegerin könnte sie auch mit dem Auto irgendwohin fahren, und die beiden müssten nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen.«
»Ich dachte, du hast dein Haus vermietet.«
»Der Mietvertrag ist abgelaufen, und Brooks möchte ein neues Haus in Ventura kaufen. Natürlich muss erst alles mit der neuen Stelle klappen.«
»Du wirst die Tapete von den Wänden kratzen.« Weir kicherte. »Das schlimmste Verbrechen, mit dem du zu tun haben wirst, wird hier und da ein Bankraub sein. Wenn du Glück hast, ist auch mal eine Entführung oder ein Drogendelikt dabei. Wie auch immer, es wird weit entfernt vom Profiling eines Serienmörders sein.«
Die Selbstmordklubs waren auch auf einigen sozialen Netzwerken wie MySpace oder Facebook und Twitter aufgetaucht. Die Klubs tarnten sich geschickt, und sobald die Behörden einen dichtmachte, schossen zwanzig neue aus dem Boden.
Mary betrat das Büro ihres Chefs und setzte sich auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtisches. Wie immer telefonierte Adams, und er scheuchte sie mit einer Handbewegung fort. Sie stand auf und trat an die Wand, an der die Tatortfotos der laufenden Ermittlungen aufgehängt waren. Wahrlich eine Wand des Schreckens, von der ihr grausige Bilder von Leichen in den verschiedensten Posen und den unterschiedlichsten Stadien der Verwesung entgegenstarrten. In Chicago lief ein Sexualverbrecher frei herum. Der UT , wie man intern einen unbekannten Täter abkürzte, hatte sich mittlerweile von Vergewaltigung und Kindesmissbrauch zu Mord gesteigert. Sie sah das Foto einer blutüberströmten Fünfjährigen und wandte sich schnell ab. Mary weigerte sich, Fälle zu bearbeiten, bei denen die Opfer Kinder waren. Genna Weir hingegen, die selbst zwei Kinder hatte, hatte keine Hemmungen, sich auf die Spur von Kindsmördern zu begeben.
Seit ihrer Teenagerzeit war Mary besessen vom Tod. Ihr Vater war Polizist in Los Angeles gewesen, und oft hatte sie ihn in der Dienststelle besucht und in seinen Akten geblättert. Autopsiebilder zu betrachten fiel ihr nicht schwerer, als im Wartezimmer beim Arzt in einem Frauenmagazin zu blättern. Den Anblick eines misshandelten Kinderkörpers aber ertrug sie nicht. Brooks meinte, dass ihre Sensibilität gegenüber Verbrechen an Kindern ein Zeichen dafür war, dass sie eine wunderbare Mutter sein würde. Mary allerdings war sich nicht sicher, ob sie ein Kind in diese Welt setzen wollte, nachdem sie wusste, was für Monster sich dort tummelten.
Ihr Vater Harold Stevens hatte sich bei der Polizei von L.A. bis zum Deputy Chief hochgearbeitet, als er von einem bewaffneten Räuber im Quick Mart erschossen worden war. Das war vor zehn Jahren gewesen. Ihr stockte noch immer der Atem, wenn sie daran dachte. Er hatte nichts weiter gewollt, als nach der Arbeit eine Flasche Wein für seine Frau zu besorgen. Adams hatte Mary auch deshalb eingestellt, weil er gehofft hatte, sie besäße das gleiche untrügliche Gespür wie ihr Vater. Er und die anderen Veteranen aus der Polizeieinheit ihres Vaters behaupteten, er habe eine Art sechsten Sinn besessen, mit dem er Freund und Feind auf den ersten Blick zu unterscheiden vermochte. Seine besondere Gabe hatte allerdings an dem einen Tag versagt, an dem es darauf angekommen war,
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