Maedchenjagd
schläfrig. Allerdings hatte sie nicht geschlafen. Ein Teil von ihr hatte zugehört, während der andere Teil den ersten Abend mit Richard Fowler noch einmal durchlebt hatte.
Fowlers und ihr Blick trafen sich, und sie wandte sich peinlich berührt ab. Sie fragte sich, was er tun würde, wenn er wüsste, woran sie eben gedacht hatte. Ihr sexuelles Erwachen war nur wenig später vergiftet worden, als sie und Shana vergewaltigt worden waren, und es hatte Jahre gedauert, bis sie wieder in der Lage gewesen war, jene Lust zu erleben.
Ihre Beziehung mit Fowler hatte vor langer Zeit geendet, und das Ende war unschön gewesen. Es war traurig gewesen, denn sie hatten angefangen, sich als Familie zusammenzuraufen. Shana und sein Sohn Greg waren Freunde geworden. Sie waren noch Kinder gewesen, und Shana hatte in Greg einen großen Bruder gesehen. Lily fragte sich, ob die beiden noch Kontakt hatten.
Die Liebe, die Lily für Richard empfunden hatte, war längst gestorben. Sie nahm es ihm sogar übel, dass er Noelle Reynolds’ Verteidigung übernommen hatte. Da das Mädchen keinen Pfennig besaß, war klar, dass er sie nur um der öffentlichen Aufmerksamkeit willen vertrat. Es war traurig, dass ein ehemals großartiger Anwalt auf ein solches Niveau gesunken war. Natürlich war es möglich, dass Dr. Reynolds endlich Geld lockergemacht hatte, zumal das Leben seiner Tochter auf dem Spiel stand.
Sie konzentrierte sich auf Silversteins Eröffnungsplädoyer. Die Richtung, die er einschlug, gefiel ihr. Er beschrieb die Angeklagte als verwöhntes, reiches Mädchen, die sich durchs Leben gemogelt und gelogen hatte. Da Reynolds keine Vorstrafen hatte, was strafmildernd wirkte, musste der Staatsanwalt sichergehen, erschwerende Umstände geltend zu machen. Andernfalls würde er mit der Todesstrafe niemals durchkommen.
»Wir werden unwiderlegbare Beweise anführen« – die Stimme von Silverstein wurde lauter – »dass die Angeklagte schon Monate, bevor sie ihn im Kofferraum ihres Autos einsperrte und dort sterben ließ, Brandon zu töten versuchte. Wir werden ihre Kaltblütigkeit beweisen, indem wir Ihnen zahlreiche Fotos aus der Zeit rund um den Tod ihres Sohnes zeigen, auf denen sie in verschiedenen Nightclubs von Los Angeles verführerisch posiert.«
Jeder kannte diese Bilder. Die Medien hatten mit Hilfe dieser Fotos den Fall zu einer Sensation gemacht. Sie schadeten der Angeklagten sehr, denn sie zeigten Reynolds direkt nach dem Verschwinden ihres Sohnes lachend beim Feiern. Die Fotos hatten auch jede Möglichkeit für die Verteidigung zunichtegemacht, mit einem Unfall zu argumentieren. Sie zeigten so ziemlich alles, was es von Noelles Körper zu zeigen gab; was man allerdings nicht erkennen konnte, waren die Miene und Haltung einer trauernden Mutter, etwas, das Reynolds die Todesstrafe hätte ersparen können. Denn nach den Regeln des Justizrats galt das Fehlen von Reue als strafverschärfend.
»Dem Bericht des Gerichtsmediziners zufolge lag die Leiche des kleinen Brandon mindestens drei Wochen im Kofferraum seiner Mutter.« Silverstein zog ein Taschentuch aus seinem Jackett und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Wie kann eine Mutter so selbstsüchtig und grausam sein, dass sie drei Wochen lang mit der langsam verwesenden Leiche ihres verstorbenen Kindes herumfährt? So unmenschlich es klingen mag, der Kofferraum ihres Taurus war vermutlich schon eine Weile vor Brandons Tod zu Noelles Babysitter geworden. Das wissen wir, weil zahlreiche Beruhigungsmittel im Badezimmerschrank von Ms. Reynolds gefunden wurden, von denen viele bei der Autopsie in Brandons Gewebe nachgewiesen werden konnten. Noelle Reynolds setzte ihren Sohn unter Drogen, um mit ihren Freunden zu trinken und zu feiern, im Bewusstsein, damit seinen Tod herbeizuführen. Außerdem werden wir Ihnen einen Bericht aus der Notaufnahme zeigen, aus dem hervorgeht, dass Dr. Reynolds seinen Enkel am dritten Dezember letzten Jahres ins Krankenhaus brachte, weil er Schwierigkeiten hatte zu schlucken. Die Angeklagte erzählte ihrem Vater, dass der Junge versehentlich das Reinigungsmittel Ajax gegessen hatte. Ärzte haben mir gesagt, dass ein Kind, selbst wenn es ätzende Mittel wie Ajax in den Mund nimmt, nur eine winzige Menge davon verschluckt, weil sie die empfindliche Schleimhaut in Mund und Rachen so stark angreifen. Die Autopsieberichte aber sagen aus, dass Brandons Speiseröhre stark vernarbt war, was darauf hindeutet, dass er mit einer beträchtlichen Menge an
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